Demonstranten fluten Unabhängigkeitsplatz Zehntausende Ukrainer protestieren in Kiew
01.12.2013, 13:46 Uhr
In Kiew ziehen Demonstranten in Richtung Unabhängigkeitsplatz.
(Foto: REUTERS)
Es ist ein symbolträchtiger Schritt. Mehr als Hunderttausend Ukrainer ziehen in Kiew zum Unabhängigkeitsplatz und fordern Präsident Janukowitsch zum Rücktrtt auf. Dieser versucht die Wogen zu glätten und verspricht, eine Annäherung an die EU voranzutreiben.
Trotz eines gerichtlichen Verbots haben Zehntausende in Kiew auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz gegen den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch protestiert und seinen Rücktritt gefordert. Demonstranten räumten Gitter ab, die Sicherheitskräfte zogen sich zurück. Ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa schätzte die Menge auf mehr als 100.000 Menschen. Oppositionsführerin Julia Timoschenko sprach von etwa 500.000 Teilnehmern bei der "Volksversammlung".
Angeblich waren alleine aus der westukrainischen Großstadt Lwiw (Lemberg) weit mehr als 10.000 Menschen angereist. Auch aus den russischsprachigen Metropolen Charkow und Donezk im Osten kamen etliche Demonstranten eigens in die Hauptstadt.
Der Protest blieb weitgehend friedlich. Doch eine Gruppe von Demonstranten versuchte, eine Absperrung der Polizei vor dem Verwaltungssitz des Präsidenten mit einem Traktor zu durchbrechen. Ein AFP-Reporter berichtete, dass die Planierraupe mehrere Male auf die Polizisten zusteuerte. Hunderte vermummte junge Leute bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Diese setzten Tränengas ein. Fünf Beamte seien verletzt worden, teilte die Polizei mit. Mindestens drei verletzte Demonstranten waren zu sehen, einer von ihnen mit einer Kopfverletzung.
Symbolträchtiger Ort
Die Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz forderten in Sprechchören "Revolution" und schwenkten EU-Fahnen als Forderung für einen Westkurs ihres Landes. Zugleich rief die Opposition zu einem landesweiten Generalstreik auf.
Auf Antrag der Stadtverwaltung hatte ein Kiewer Gericht Proteste auf dem symbolträchtigen Platz verboten. Dort müssten Christbäume und Weihnachtsmärkte aufgestellt werden, hieß es zur Begründung. Der Unabhängigkeitsplatz war ein zentraler Ort der Proteste während der Orangenen Revolution. "Wir bleiben hier", rief der Chef der rechtspopulistischen Partei Swoboda (Freiheit), Oleg Tjagnibok. Unbestätigten Berichten zufolge begannen Regierungsgegner damit, auf dem Platz Zelte aufzustellen wie bei der prowestlichen Orangenen Revolution vor neun Jahren.
Polizei hält sich zurück
Angeführt wurde die Menge von Oppositionspolitikern wie Boxweltmeister Vitali Klitschko oder Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko. Sicherheitskräfte waren kaum zu sehen. Auf Plakaten gaben die Demonstranten der Regierung die Schuld an einem gewalttätigen Polizeieinsatz gegen Befürworter einer pro-westlichen Ausrichtung der Ukraine. Dabei waren Dutzende verletzt worden.
"Unser Ziel heute ist der vollständige Regierungswechsel in der Ukraine", rief Klitschko. "Heute ist die ganze Ukraine gegen die Regierung aufgestanden, und wir werden bis zum Ende stehen."
In den Demonstrationszug mischten sich auch viele ältere Menschen und Familien mit Kindern. Viele Mitglieder der rechtspopulistischen Partei Swoboda marschierten ebenfalls mit. Sie trugen eine überdimensionale blau-gelbe Staatsflagge vorneweg.
Am Treffpunkt im Taras-Schewtschenko-Park waren am Morgen schon Stunden vor Beginn der Demonstration weit mehr als 1000 Menschen zu sehen. Auf dem zentralen Michaelsplatz in Kiew hatten sich mindestens 1500 Regierungsgegner versammelt, viele hatten dort trotz großer Kälte in der Nacht ausgeharrt. Die Mönche des gleichnamigen Klosters ließen Dutzende bei sich übernachten.
Janukowitsch verspricht Annäherung an EU
Janukowitsch versucht derweil, die Wogen zu glätten. Er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um eine Annäherung an die Europäische Union voranzutreiben, hieß es in einer Erklärung. Es gehe aber darum, wirtschaftliche Verluste zu vermeiden.
Der Staatschef hatte den Zorn vieler Ukrainer auf sich gezogen, weil er unter dem Druck Russlands ein über mehrere Jahre ausgehandeltes Assoziierungs- und Handelsabkommen mit der EU schließlich doch nicht unterzeichnete. Nach tagelangen Demonstrationen hatte die Polizei am Samstag in Kiew gewaltsam ein Protestlager geräumt.
Innenminister Witali Sachartschenko entschuldigte sich für das Vorgehen der Sondereinheit "Berkut" (Steinadler). Der Kiewer Polizeichef Waleri Korjak bot seinen Rücktritt an.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte die ukrainische Regierung auf, die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten und die Demonstranten vor Einschüchterung und Gewalt zu schützen. Es sei deren gutes Recht, für eine europäische Ukraine auf die Straße zu gehen. "Wir teilen ihren Wunsch, die Ukraine schnell näher an die Europäische Union heranzuführen", sagte Westerwelle. "Unser Angebot dafür steht."
Quelle: ntv.de, jga/dpa/AFP/rts