Politik

Streit über Einsatz Zittern um Geiseln

Die zweite deutsche Geisel in Afghanistan ist nach Angaben der Taliban noch am Leben. "Ein Deutscher und vier Afghanen, über die wir berichtet hatten, dass sie getötet wurden, sind noch am Leben", sagte Taliban-Sprecher Kari Mohammed Jusuf. Die Taliban verlangen die Freilassung von zehn ihrer Kämpfer aus afghanischer Haft und den Abzug der deutschen Truppen aus dem Land als Gegenleistung für die Freigabe der Geiseln.

Nach dem Tod eines der beiden entführten deutschen Bauingenieure setzt die Bundesregierung unterdessen alles daran, den zweiten verschleppten Deutschen unversehrt aus der Gewalt der Kidnapper zu befreien. Der Krisenstab konzentriere sich jetzt mit voller Kraft darauf, die deutsche Geisel frei zu bekommen, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der Leichnam der bei der Entführung ums Leben gekommenen ersten deutschen Geisel - ein 44-jährige Mann - soll möglichst rasch nach Deutschland überführt werden. Die Geiselnahme entfachte erneut die Debatte über den zur Verlängerung anstehenden Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.

Verhandlungen laufen

Steinmeier sagte am Rande einer Sitzung in Brüssel, der Leichnam des Mannes werde in Deutschland obduziert: "Wir wollen Gewissheit über die Todesursache haben." Die Bundesregierung hoffe, diese in den nächsten Stunden und Tagen zu bekommen. Laut "Spiegel" weist der Leichnam mehrere Brustschüsse auf. Das hätten Beamte des Bundeskriminalamts nach einer ersten Untersuchung der Leiche gemeldet. Ob der Mann durch die Schüsse starb oder bereits tot war, als auf ihn gefeuert wurde, ist bislang noch unklar. Der 44-Jährige litt an Diabetes. Er hinterlässt eine Frau und einen schulpflichtigen Sohn in Wismar.

Unterdessen laufen die Verhandlungen mit den Entführern des zweiten deutschen Bauingenieurs in der zentralafghanischen Provinz Wardak nach Angaben der Provinzregierung weiter. Der Sprecher des Gouverneurs von Wardak sagte, man hoffe auf ein positives Ergebnis. Weiterhin ist unklar, wer hinter der Entführung steckt. Zunächst hatten sich die Taliban zu der Tat bekannt. Dann waren an ihrer Urheberschaft aber massive Zweifel aufgekommen. Der Sprecher sagte, in Wardak operierten Kämpfer der radikal-islamischen Taliban, Diebe und Angehörige der Drogenmafia.

Auch die Bemühungen der afghanischen und südkoreanischen Regierung um eine Freilassung der 23 von den Taliban entführten Südkoreaner liefen am Montag auf Hochtouren. Die Regierung halte über verschiedene Kanäle "indirekten oder direkten" Kontakt zu den Geiselnehmern, sagte ein Regierungsbeamter in Seoul.

Entführung als Methode

Der Kommandeur der Afghanistan-Schutztrupper ISAF sprach sich gegen Verhandlungen mit den Geiselnehmern des deutschen Bauingenieurs aus. US-General Dan McNeill sagte, die Aufständischen benutzten Entführungen als Methode. "Terrorismus ist der passende Ausdruck dafür." Verhandlungen mit Extremisten seien "nicht gerade eine gute Idee". McNeill sagte weiter, er wünsche sich mehr Soldaten für die NATO-geführte ISAF auch aus Deutschland. Ein bis zwei Bataillone der Bundeswehr, also etwa 500 bis 1000 Soldaten, wären eine "wunderbare Ergänzung", wenn der Bundestag dem zustimmte.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) plädierte für eine Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch. Dort stehe auch die Sicherheit Deutschlands auf dem Spiel, sagte er in München. "Wenn Afghanistan wieder in die Hände der Taliban fallen würde, würde es wieder werden, was es schon einmal war, nämlich eine Hochschule des Terrorismus." Der Bundestag stimmt im Herbst über drei Mandate ab: die Beteiligung an der ISAF-Truppe, den Einsatz von Tornados sowie die Teilnahme am US-geführten Anti-Terrorkampf (OEF).

Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels forderte indes einen Kurswechsel. "Es muss sich was ändern, sowohl beim zivilen Aufbau als auch bei der Struktur der Mandate." Drei Mandate für Afghanistan seien nicht notwendig. Der Politiker plädierte dafür, das Mandat "Operation Enduring Freedom" (OEF) nicht zu verlängern.

Experte sieht Irak-Risiko

Der Afghanistan-Experte Michael Lüders sieht die Gefahr einer Irakisierung Afghanistans. "Es ist natürlich sinnvoll, dass die Bundesregierung und andere westliche Staaten die Regierung in Kabul unterstützen", sagte Lüders bei n-tv. Das Dilemma sei nur, dass man in Afghanistan leicht in dieselbe Falle gehen könne, in der sich auch die Amerikaner im Irak wiedergefunden hätten: "Man entsendet mehr und immer mehr Soldaten. Gleichzeitig gerät die innenpolitische Lage immer mehr außer Kontrolle."

Der Krieg gegen die Taliban sei gescheitert, so Lüders weiter. "Die Taliban haben weite Landesteile im Süden und im Osten des Landes mittlerweile zurückerobert, mit Ausnahme der Städte." Es stelle sich die Frage, ob es nicht einer grundsätzlich neuen Strategie bedürfe. "Darüber wird man auch in Berlin nachdenken müssen. Aber natürlich nicht unter dem Druck einer Geiselnahme eines Deutschen."

Quelle: ntv.de

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