Politik

NSU-Prozess Zschäpe ist nicht das harmlose Mäuschen

Gut aufeinander eingespielt: Die Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe (2.v.l.) im Saal des Müncher Oberlandesgerichts.

Gut aufeinander eingespielt: Die Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe (2.v.l.) im Saal des Müncher Oberlandesgerichts.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wie ein Puzzle setzt sich im Münchner Prozess ein Bild des NSU zusammen. Zwar liegt ein Urteil noch in weiter Ferne, doch vor allem die Rolle von Beate Zschäpe wird immer deutlicher sichtbar.

Seit Richter Manfred Götzl am 6. Mai 2013 zum ersten Mal einen Sitzungstag im sogenannten NSU-Prozess eröffnete, ist viel Wasser die Isar hinuntergelaufen. In dem Münchner Mammut-Verfahren haben sich bis zum 100. Verhandlungstag alle Beteiligten aufeinander eingespielt. Bisher waren 265 Zeugen geladen, darunter 14 medizinische und 13 technische Sachverständige. Insgesamt wies die Zeugenliste vor Beginn des Prozesses mehr als 600 Namen aus, zu denen noch einige weitere hinzukommen könnten. Es bleibt also noch viel zu tun.

Bis kurz vor Weihnachten hat das Oberlandesgericht weitere Termine festgelegt, und noch ist völlig offen, ob dann schon ein Urteil fallen kann. In der Regel wird an drei Tagen in der Woche verhandelt, doch die Abwesenheit oder Erkrankung von Zeugen hat dazu geführt, dass ganze Sitzungswochen ausfielen. Außerdem sind immer wieder Pausen eingeplant, etwa in den Sommerferien.

Einige der anfänglichen Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. So hat weder die hohe Zahl der Nebenkläger dazu geführt, dass die Beweisaufnahme stockt, noch hat das große öffentliche Interesse eine sachliche Verhandlungsführung unmöglich gemacht. Stattdessen hat sich Götzl als durchaus souveräner Richter erwiesen, die anfangs heftigen Schreiereien sind selten geworden.

Biedere Kleinbürgeridylle

Für Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik vertritt, sind trotzdem nur wenige Anklagepunkte bisher ausreichend behandelt worden. Lediglich für die Vorwürfe um die Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingstraße hält er die Beweisaufnahme für weitgehend abgeschlossen. Dort soll Beate Zschäpe vor ihrer Flucht ohne Rücksicht auf eine betagte Nachbarin jene Wohnung angezündet haben, in der sie gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bis zu deren Tod gelebt hatte.

Über die innere Ordnung und das Alltagsleben des Terror-Trios war einiges zu erfahren. Denn auch wenn die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt, so entsteht aus den Aussagen ihrer Mitangeklagten, den Erinnerungen der Eltern von Böhnhardt und Mundlos, den Beschreibungen aus dem Umfeld und nicht zuletzt durch die vielen Fotos aus der Zwickauer Wohnung ein ziemlich genaues Bild von den NSU-Jahren im Untergrund. Es war eine biedere Kleinbürgeridylle voller Angst, mit rosa Puschen im Schuhregal und Überwachungskameras an den Blumenkästen. Und Zschäpe war darin alles andere als nur die Hausfrau, die den Männern das Essen kochte und die Unterhosen wusch.

Offenbar lebten die rechtsextremen Untergrundkämpfer in einem Umfeld von prinzipiell Gleichgesinnten, auch wenn Zschäpe und Co. ihre wahre Identität vor ihren Nachbarn verborgen haben. Doch bei Bier und Schaumwein im Partykeller unterm Hitlerbild war man sich grundsätzlich einig. Allerdings ist schon erstaunlich, wie selbstverständlich Neonazis in Deutschland an Waffen, Geld und falsche Papiere kommen. Wer sich darüber Illusionen gemacht hat, ist nach den Münchner Vernehmungen um eine ärmer.

Schlampige Ermittlungen

Auch bei den Vernehmungen der Ermittlungsbeamten und Verfassungsschutzleute aus mehreren Bundesländern wird verständlich, warum es so viele Jahre und schließlich noch den Zufall gebraucht hat, um die Mordserie des NSU aufzudecken. Im Prozess traten schon mehrfach Zeugen mit großen Erinnerungslücken auf. Polizeibeamte erinnern sich inzwischen genau an die Dinge, die in der Anklage stehen, ohne dass das für die damaligen Ermittlungen irgendeine Konsequenz gehabt hätte. Trotz heftiger Widersprüche in Vernehmungen sahen sie sich nicht bemüßigt nachzufragen und können das inzwischen auch kaum noch erklären.

Und dann sind da noch die Vertreter des Verfassungsschutzes, die, obwohl die Überwachung verfassungsfeindlicher Kräfte ihre originäre Aufgabe ist, bisher so gut wie gar nichts zur Aufklärung beitragen konnten. Im Fall des hessischen Verfassungsschützers Andreas T., der sich möglicherweise zeitgleich mit den Mördern von Halit Yozgat in dessen Kasseler Internetcafé aufhielt, sind die Zweifel an seiner Darstellung so groß, dass man sich fragt, wie jemand mit einer so hanebüchenen Geschichte überhaupt bis jetzt durchkommen konnte. Auch auf eine weitere Frage hat der Prozess bisher keine Antwort zutage gefördert: Warum konnten die Sicherheitsbehörden über ihre V-Leute in der Szene angeblich nichts vom mutmaßlichen Verbleib der drei verschwundenen Jenaer Bombenbastler in Erfahrung bringen. 

Übertroffen werden die schweigenden Verfassungsschützer nur noch von den Zeugen aus der rechtsextremen Szene. Viele von ihnen weigerten sich vor Gericht rundweg, über ihre Kontakte zu Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos auszusagen. Da noch einige Ermittlungsverfahren la ufen, machen sie von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, um sich nicht selbst zu belasten. Andere verhöhnen das Gericht, zeigen offen ihre Überzeugungen und ihre Solidarität zu den Angeklagten. Besonders Ralph Wohlleben erfährt offene Unterstützung, nicht zuletzt von der Zuschauertribüne. Wer glaubt, dass es für die Taten des NSU trotz aller öffentlichen Empörung nicht auch schweigende Zustimmung gab, wurde hier eines Schlechteren belehrt. 

Nur vier Unterstützer?

Dass das große Geständnis von Beate Zschäpe bisher ausgeblieben ist, dürfte niemanden ernsthaft überrascht haben. Ob sie überhaupt etwas sagen wird, ist vollkommen offen, doch nur sie könnte über die Gedankenwelt und die Struktur des NSU Auskunft geben. Die mitangeklagten André E. und Ralf Wohlleben, ohne deren Unterstützung das NSU-Trio kaum so lange im Untergrund durchgehalten hätte, schweigen ebenfalls.

Doch die umfangreiche Aussage von Carsten S. hat Ermittlungen zu einem möglichen weiteren NSU-Anschlag ausgelöst, bei dem im Juni 1999 in Nürnberg eine Taschenlampe als Rohrbombe präpariert worden war. Holger G. hat ein paar Angaben zur Person gemacht und sich ansonsten als ahnungsloser alter Freund von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gegeben. Seitdem beantwortet er keine weiteren Fragen und könnte damit die angebotene Kronzeugenregelung und den dadurch erhofften Strafnachlass verspielen. Doch auch ohne weitere Einlassungen lässt sich ahnen, dass das Unterstützernetzwerk des NSU größer gewesen sein muss, als Zschäpes vier Mitangeklagte glauben lassen wollen.

Für die Opferfamilien ist jeder Prozesstag, an dem es um ihre Angehörigen geht, eine schwierige Herausforderung. Immerhin glauben sie inzwischen an den Aufklärungswillen des Gerichts, wie es Gamze Kubasiks Anwalt Scharmer bestätigt. Doch das Versprechen von Transparenz wird nicht immer eingelöst, wenn die Anwälte der Nebenkläger um jede Akte kämpfen müssen oder nur in Karlsruhe zu bestimmten Zeiten Akten lesen dürfen.

Scharmer sagt: "Wir stellen viele Fragen, aber wir bekommen nicht immer Antworten." Doch am Ende muss sich der NSU-Prozess nicht nur an seinen Urteilen messen lassen, sondern auch an den Antworten, die er gefunden hat.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen