
Susanne Báro Fernández betreibt seit drei Jahren das "Timber Doodle" in Berlin-Friedrichshain.
(Foto: Rebecca Staszec)
Kaum eine Branche ist so hart von der Covid-Pandemie betroffen wie das Gastgewerbe. Die Schutzmaßnahmen zielen vor allem auf Bars und Kneipen. Deren Betreiber fühlen sich von der Politik gegängelt und wehren sich gegen ihrer Ansicht nach widersinnige Vorschriften.
Vorhersagen von 13 Grad und Nieselregen wie am heutigen Samstagabend sind eigentlich eine gute Nachricht für Susanne Báro Fernández und Lutz Rau. Das nasskalte Herbstwetter beschert der Betreiberin der Cocktailbar "Timber Doodle" und dem Geschäftsführer der ebenfalls gehobenen "Booze Bar" zusätzliche Gäste - in normalen Zeiten. Im Corona-Oktober aber kann es noch so kalt sein: Die Berliner Pandemie-Regeln schränken die Zahl der zugelassenen Kunden im Innenbereich drastisch ein. Zudem müssen die Läden um 23 Uhr schließen.
Im sonst hochfrequentierten Ausgehviertel im Stadtteil Friedrichshain gilt Corona-bedingt eine Sperrstunde. Mitternachts geht es dort nun fast so ruhig zu wie in der brandenburgischen Kleinstadt, aus der Rau einst nach Berlin geflohen war.
Umso beunruhigter sind Báro Fernández und Rau. Sie fürchten um die Zukunft ihrer gesamten Branche: der Bar- und Kneipenszene, die derzeit in den wirtschaftlichen Abgrund eines langen Pandemie-Winters blickt. "Da geht eine Kultur verloren", sagt Báro Fernández, die sich ein wenig im Stich gelassen fühlt. "Man könnte meinen, die Politik sei zu abgehoben, um die soziale und kulturelle Bedeutung einer Bar zu verstehen."
"Die versuchen, die Gastronomie plattzumachen"
Rau befürchtet nicht weniger als "ein Sterben auf Raten". Ihm bekannte Gastronomen suchten nach Geldgebern, die im Gegenzug für Unternehmensanteile den Laden am Laufen halten. "In den Portalen für Gewerbeimmobilien häufen sich auch die Angebote", hat Rau beobachtet. Die eigentliche Insolvenzwelle aber kommt erst noch. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga rechnet damit, dass bis zu einem Drittel der Gastgewerbe die Pandemie nicht überleben wird, darunter auch Kneipen und Bars.
Zu den Sorgen kommt bei Báro Fernández und Rau noch blanke Wut: auf die Politik und ihre Corona-Regeln. "Die versuchen, die Gastronomie plattzumachen", befürchtet Rau, der nicht nachvollziehen kann, warum der Berliner Senat ausgerechnet die einzigen Orte einschränkt, an denen das Ausgeh-Geschehen geordnet stattfinde - mit Abstandskontrollen, Hygienemaßnahmen, Lüftungsanlagen und Adresslisten aller Kunden. "Stattdessen spült die Sperrstunde Punkt elf alle Menschen gleichzeitig auf die Straße, die dann mit Getränken aus dem Späti nicht zu kontrollierende Privatpartys in ihren Wohnungen feiern", schimpft Rau.
Wirte ziehen vor Gericht
Seine "Booze Bar" darf wegen der Abstandsregeln theoretisch noch 60 von 116 Plätzen besetzen. Die neuen Kontaktbeschränkungen reduzieren die Zahl zulässiger Gäste aber weiter. Báro Fernández bleiben 4 von 13 Tischen, an denen manchmal nur ein einziger Gast sitzt. Die neuen Schließzeiten reduzieren den Umsatz noch einmal um die Hälfte, rechnen beide vor.
Für die von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci verhängte Sperrstunde und das Alkoholausschankverbot ab 23 Uhr haben viele Gastronomen kein Verständnis. 23 von ihnen haben erfolgreich gegen den Schließzwang geklagt, weitere Klagen laufen. Wer gewinnt, darf länger öffnen - muss dann aber mit Kontrollen rechnen, die den siegreichen Wirten wie eine persönliche Bestrafung des Senats vorkommen.
Die Kläger fragte Kalayci: "Wissen Sie nicht, was auf dem Spiel steht?", und drohte mit den wirtschaftlichen Folgen eines Lockdowns. Tatsächlich aber zeigen die für die Corona-Politik maßgeblichen Zahlen des Robert-Koch-Instituts, dass gastronomische Einrichtungen kein nennenswerter Infektionsherd sind. Es sind vor allem Begegnungen im Privaten. "Diese Eingriffe in die Berufsfreiheit der Gastronomen sind weder geeignet, um die Ansteckungen deutlich einzudämmen, noch sind sie der kleinstmögliche Eingriff", sagt deshalb Báro Fernández, die Jura studiert hat, bevor sie das Bürgerliche Gesetzbuch aus der Hand legte, um Cocktails zu mixen.
"Prohibition hat noch nie funktioniert"
Der Senat macht keinen Hehl daraus, dass er die Maßnahmen auch wegen der gar nicht so wenigen Gastro-Unternehmer ergreift, die auf Vorgaben pfeifen. "Die nehmen eine ganze Branche in Sippenhaft für die schwarzen Schafe", sagt Rau und fordert mehr Kontrollen sowie Ordnungsgelder, die den Regelbrechern wirklich wehtun. In den vergangenen Monaten habe es der Senat aber versäumt, eine Strategie zu entwickeln. Nun würden aus Bequemlichkeit alle Läden drangsaliert. Aber: "Prohibition hat noch nie funktioniert", gibt Rau zu bedenken, weshalb er Alkoholkonsum unter Aufsicht der Wirte für den klügeren Weg hält.
"Die scheren alle Bars über einen Kamm und unterscheiden nicht, ob sich in einer Bar die Menschen am Tresen drängen oder es einen Tischservice gibt", klagt Báro Fernández. "Als im Frühjahr die Bars noch geschlossen waren, gingen die Menschen stattdessen ins Restaurant zum Trinken und in der Eisdiele standen sie dicht an dicht." Derlei Widersprüche nagen am Vertrauen der Wirte in die Politik. Gleiches gilt für die Corona-Hilfen von Bund und Stadtstaat.
Kurzarbeitergeld hilft bedingt
Die Hilfen der Bundesregierung lobt Báro Fernández als "Megaleistung", die aber in vielen Punkten ihr Ziel verfehlten. So seien die Hilfen noch immer zu bürokratisch. Tatsächlich wurde bisher noch nicht einmal ein Drittel der Sofort-Hilfen abgerufen. Zudem seien die Anträge inzwischen an die Beteiligung eines Steuerberaters geknüpft worden, der auch Geld für seine Arbeit sehen will.
Rau beklagt zudem, dass er das Kurzarbeitergeld lange vorstrecken musste, bis seine Anträge endlich abgearbeitet waren. Zwei seiner sieben Mitarbeiter mussten gehen. Die anderen Barkräfte müssten "bei 60 Prozent vom Gastro-Nettoverdienst, ohne Trinkgeld und ohne Nachtzuschläge, eigentlich Grundsicherung beantragen", sagt Rau. "Wovon soll ich aufstocken?", fragt er mit Blick auf entsprechende Forderungen der Politik.
Was Rau besonders frustriert: Die Betrüger in der Branche, "die mit den schon schimmeligen Geldscheinen im Keller", hätten genug Rücklagen, um nun durch die Krise zu kommen. "Aber ich, der nicht einen Drink ungebucht über den Tresen reichen lässt, bekomme nach mehreren Hunderttausend Euro Steuerzahlungen in den letzten fünf Jahren 9000 Euro Hilfe vom Staat."
Einen Lerneffekt gibt es
Beide sind trotz allem optimistisch, durch den Winter zu kommen. "Ich wollte eigentlich einen zweiten Laden aufmachen, jetzt konnte ich mit Spenden meiner Stammkunden zumindest das 'Timber Doodle' offenhalten", sagt Báro Fernández, die ebenfalls einen Mitarbeiter entlassen musste. Rau weiß, dass im schlimmsten Fall zumindest seine Frau noch ein Einkommen hat. Solche Fallschirme haben andere Barbetreiber und Kneipenwirte nicht.
Die bisher sehr heterogene Szene von Einzelkämpfern habe zumindest gelernt, sich mehr zusammen zu tun, sagt Báro Fernández. "Wir haben keine Lobby." Gaststätten und Hotels seien da organisierter und auch engagierter. Die Barbetreiber fangen dagegen jetzt erst an, sich zu vernetzen - im Dehoga oder der Deutschen Barkeeper Union.
Die Wirte wollen sich zudem an der von der Veranstaltungsbranche organisierten Protestaktion "Alarmstufe Rot" beteiligen. Die will am 28. Oktober wieder durch Berlin ziehen, um bei der Politik mehr Unterstützung einzufordern. So soll ein großes Bar-Sterben doch noch verhindert werden. Denn das wäre, findet Rau, ein "Super-Gau" - auch für Berlin, das so sehr von seinem Nachtleben profitiert.
Quelle: ntv.de