Die zähe Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz Zurück aus der Vergangenheit
03.07.2013, 17:22 Uhr
Anlass für Spott: Ein Cover des Satire-Magazins "Titanic" ist ein beliebtes Plakat für Kritikern der Verfassungsschutzämter.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das Bundesamt für Verfassungsschutz steckt nach dem NSU-Debakel mitten in einer Reform. Der Chef der Behörde stellt zusammen mit dem Innenminister jetzt ausgesprochen stolz die ersten Meilensteile vor. Experten haben allerdings wenig Verständnis für ihren selbstbewussten Auftritt. Sie sprechen von einer Hitliste der Banalitäten
Hans-Georg Maaßen lobt seine Mitarbeiter: "Sie haben erkannt, dass eine Reform notwendig ist." Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz spricht von "130 Einzelvorschlägen", die aus seinem Haus gekommen sind. Er sagt: "Die richtigen Weichen sind gestellt." Und all das auch noch kostenneutral - nur durch Umschichtungen im Amt. Kurzum: Maaßen ist stolz, oder erweckt zumindest diesen Eindruck.

Innenminister Friedrich (r.) und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Maaßen.
(Foto: dpa)
Nach 10 Monaten der Arbeit zieht der Verfassungsschutzchef seine erste Zwischenbilanz der Reform seiner Behörde. Innenminister Hans-Peter Friedrich sitzt an seiner Seite. Es gebe praktisch nur noch ein paar Details mit den Ländern zu regeln, sagt der CSU-Politiker und verspricht: "Ich werde in dieser Frage - wie in anderen - hart bleiben." Zufriedenheit, Zuversicht - läuft nach dem NSU-Debakel beim Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt endlich alles rund? Der selbstsichere Auftritt von Maaßen und Friedrich täuscht, davon sind Insider überzeugt. Aber eines nach dem anderen.
Nachdem das Versagen der Verfassungsschutzbehörden bei den Ermittlungen zum Zwickauer Neonazi-Trio, das zwischen 2000 und 2006 unbehelligt neun Migranten in Deutschland ermorden konnte, aufflog, galt es, die Schwachstellen des Bundesamtes auszumerzen. Die Liste der Reformmaßnahmen, die Maaßen und Friedrich nun mit allergrößter Ernsthaftigkeit präsentierten, erwecken bei Experten allerdings kaum den Eindruck einer Erfolgsgeschichte. Sie wirken vielmehr wie ein Beleg dafür, wie schief es in dem Amt lief.
Erklärtes Ziel: "Über den Tag hinaus denken"
Was steckt drin in der Reform? Maaßen versichert bei seinem Auftritt in Berlin, dass sein Amt seine Analysefähigkeit, also die Kernaufgabe der Behörde, verbessern konnte und weiter verbessern wird. Erklärtes Ziel: "Über den Tag hinaus denken." Auch die Effizienz wusste die Behörde laut Maaßen zu steigern. Indem sie sich stärker auf "das Wesentliche" konzentriert. Das Bundesamt will künftig gewaltorientierte Phänomene mit größerem Einsatz beobachten. Bei weniger akuten Fällen will sie die Intensität dafür zurückfahren.
Eine weitere Maßnahme: Nachdem im Juni 2012 bekannt wurde, dass ein Referatsleiter des Bundesamtes unmittelbar nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie Dokumente über Neonazis aus Thüringen schredderte, gibt es jetzt im Verfassungsschutzamt interne Vorschriften zum Umgang mit Daten und Akten.
Eine "Querdenker-Gruppe" soll zudem verhindern, dass sich die Fachabteilungen des Amtes bei ihren Ermittlungen auf bestimmte Thesen versteifen. Im Falle des Nationalsozialistischen Untergrunds kamen die Ermittler jahrelang nicht auf die Idee, dass die Morde an türkischen und griechischen Kleinunternehmern einen rechtsextremistischen Hintergrund haben könnten. Es gibt noch eine ganze Reihe von Verbesserungen dieser Art. Für die wichtigsten ließen Maaßen und Friedrich darum ein buntes Booklet mit den Top 10 drucken.
Kein großer Wurf
André Schulz, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, spricht angesichts dieser Top 10 von vermeintlichen "Highlights", Er sagt: "Dass Maaßen und Friedrich das als großen Wurf präsentieren, finde ich schon sehr optimistisch." Im Grunde handele es sich um Banalitäten. "Da hätte man im Bundesamt längst machen müssen." Querdenkergruppen? Laut Schulz ist das seit jeher gängige Praxis bei Ermittlern der Kriminalpolizei. "Das zieht sich wie eine rote Linie durch alle Maßnahmen." Regeln für den Umgang mit Akten? Standard in praktisch allen deutschen Behörden. Über den Tag hinausdenken? Eine Strategie, die jeder, der schon einmal einen Einkaufszettel geschrieben hat, verinnerlicht hat.
Der Leiter des Untersuchungsausschusses des Bundestages zum NSU, Sebastian Edathy, sieht das ähnlich. Über die Maßnahmen sagt er diplomatisch: "Ich halte sie nicht für weitgehend genug." Edathy will allerdings nicht nur kritteln. "Ich finde es zunächst mal begrüßenswert, dass auch der Bundesinnenminister und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sich eigene Gedanken gemacht haben über notwendige Veränderungen." Der SPD-Politiker beschreibt die Behörde allerdings als eine Institution, die aus der Zeit gefallen ist, und der gerade erst den Sprung zurück in die Gegenwart zu gelingen scheint.
"Wir brauchen die besten Analysten"
Mit seinem Untersuchungsausschuss will Edathy darum fraktionsübergreifend nach weitergehenden Maßnahmen suchen, die die Behörde auch zukunftsfest machen. Eine ganze Reihe an Ideen hat er schon gesammelt. Weil Edathy zufolge Teile des Verfassungsschutzamtes begonnen haben, ein Eigenleben zu führen, gilt es den Einfluss des Parlaments auszuweiten. Das zuständige Kontrollgremium soll zum Beispiel ein Mitspracherecht bei der Auswahl von V-Leuten bekommen.
Auch für die länderübergreifende Arbeit des Bundesamtes brauche es dringend Regeln, sagt Edathy. Dazu gehört die Pflicht, dass Landesämter und Maaßens Behörde wechselseitig ihre Daten ungefiltert austauschen. Auch federführende Einsätze des Bundesamtes in den Bundesländern sollten künftig möglich sein, wenn etwa eine rechtsextreme Gruppe in mehreren Ländern zugleich tätig ist.
Mit am wichtigsten ist Edathy besseres Personal. "Wir brauchen die besten Analysten und die qualifiziertesten Leute."
Dass Maaßen und Friedrich im Gegensatz zu seinen Ideen stolz über ihre Reformmaßnahmen sagen können, dass sie kein zusätzliches Geld kosten, beeindruckt den SPD-Politiker wenig. "Ich denke nicht, dass man Fragen der inneren Sicherheit in erster Linie unter Kostengesichtspunkten debattieren sollte." Jeder Euro sei gut investiertes Geld, sagt er. "Das ist Geld, das der Sicherheit der Bürger direkt zu Gute kommt."
Quelle: ntv.de