Politik

Rede vor Parlament in Ankara Zwei Wulff-Sätze für die Türkei

Nach der Rede: Ministerpräsident Erdogan, Präsident Gül und Bundespräsident Wulff vor dem Parlamentsgebäude in Ankara.

Nach der Rede: Ministerpräsident Erdogan, Präsident Gül und Bundespräsident Wulff vor dem Parlamentsgebäude in Ankara.

(Foto: dpa)

Mit deutlichen Worten mahnt Bundespräsident Wulff Religionsfreiheit in der Türkei an. Er erwarte, "dass Christen in islamischen Ländern das gleiche Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben", wie Muslime in Deutschland. Wulff wandelt einen Satz aus seiner Rede zum 3. Oktober ab: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei." Und auch Wulffs Gastgeber Gül bezieht sich auf die Wulff-Rede.

Eine Reise in die Türkei ist für deutsche Politiker immer heikel, viele potenzielle Fettnäpfchen warten auf den Gast. Zugleich ist jede Stolperfalle seit Jahren bekannt, sie zu vermeiden ist nicht schwer. Bei diesem Besuch sind zwei Dinge anders: Christian Wulff ist der erste deutsche Bundespräsident, der vor dem türkischen Parlament spricht. Und die Abgeordneten wollen hören, was der Gast zur Integrationsdebatte in seinem Heimatland zu sagen hat.

"Ich grüße Sie alle und das große Volk der Türkei", beginnt Wulff.

"Ich grüße Sie alle und das große Volk der Türkei", beginnt Wulff.

(Foto: dpa)

Sie müssen sich gedulden. Wulff beginnt mit den üblichen Respektsbekundungen. "Ich grüße Sie alle und das große Volk der Türkei herzlich und überbringe Ihnen die Grüße meiner Landsleute", beginnt er. Es sei ihm "eine große Ehre, als erster deutscher Bundespräsident vor der Großen Nationalversammlung der Türkei zu sprechen". Wulff holt weit aus, spricht über den Ersten Weltkrieg, die Abschaffung von Kaiserreich und Sultanat und bedankt sich dafür, dass die Türkei in der NS-Zeit verfolgten Deutschen Aufnahme gewährte. Es ist die einzige Stelle, an der seine Rede von Applaus unterbrochen wird.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, fährt Wulff fort, hätten sich die deutsch-türkischen Beziehungen in einer beispiellosen Weise intensiviert. Als Beispiele nennt er die vielen "Mitbürgerinnen und Mitbürger mit türkischen Wurzeln" in Deutschland, die engen wirtschaftlichen Beziehungen und die über 4,5 Millionen Deutsche, die jährlich Urlaub in der Türkei machen. Er freue sich darauf, am Freitag den Grundstein für die Deutsch-Türkische Universität in Istanbul legen zu dürfen, und er dankt der Türkei, im Kalten Krieg an der Seite des Westens gestanden zu haben. Dass Deutschland wiedervereinigt sei, sei auch der Türkei zu verdanken.

Dann kommen die unangenehmen Punkte: Zypern: Es gelte, "den Knoten zu durchschlagen". Armenien: "Nur durch Versöhnung kann eine neue Basis des Vertrauens entstehen." Nahost-Konflikt: "Wir alle sollten dabei unsere konstruktive Hilfe leisten." Iran: Es sei an Teheran, Bewegung zu zeigen.

"Verharren in Staatshilfe, Machogehabe"

"Sie werden von mir ein Wort zu den vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern als größter Gruppe der Einwanderer in Deutschland erwarten", beginnt Wulff den zweiten, spannenderen Teil seiner Rede. Und er betont: "Sie gehören zu unserem Land." Schnell, fast hastig arbeitet er die Liste der Negativa ab, "das Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung".

Erstmals schritt auch die türkische Präsidentengattin Hayrünnisa Gül - hier mit Bettina Wulff - eine militärische Ehrenformation vor dem Präsidentenpalast ab. Bislang hatte sie mit Blick auf das laizistische türkische Militär darauf verzichtet, um Streit um ihr Kopftuch zu vermeiden.

Erstmals schritt auch die türkische Präsidentengattin Hayrünnisa Gül - hier mit Bettina Wulff - eine militärische Ehrenformation vor dem Präsidentenpalast ab. Bislang hatte sie mit Blick auf das laizistische türkische Militär darauf verzichtet, um Streit um ihr Kopftuch zu vermeiden.

(Foto: AP)

Der Zeitung "Hürriyet" hatte Wulff zuvor bereits ein längeres Interview gegeben, in dem er der Annahme widersprach, Türken seien nicht integrierbar. "Zu behaupten, eine ganze Gruppe könne und wolle sich nicht integrieren, halte ich für falsch", sagte Wulff. Er wende sich "gegen jedes Pauschalurteil". Den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer erwähnte Wulff dabei nicht.

Niemand müsse jedoch seine "kulturelle Identität aufgeben oder seine Herkunft verleugnen", sagt Wulff den türkischen Abgeordneten. Auch die Liste der Forderungen geht er durch. Es gehe darum, "die deutsche Sprache zu lernen, Recht und Gesetz einzuhalten und sich mit den Lebensweisen der Menschen vertraut zu machen".

"Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei"

Ungewöhnlich deutliche Worte findet Wulff zur Religionsfreiheit in der Türkei. Diese letzte, heikle Passage seiner Rede hat Wulff eingebettet in zwei Erwähnungen des in der Türkei stark verehrten Staatsgründers Atatürk. Auf Türkisch trägt er ein Zitat "des großen Mustafa Kemal Atatürks" vor: "Yurtta baris, dünyada baris - Frieden im Lande und Frieden in der Welt".

Kein Türkei-Besuch ohne Kranzniederlegung am Mausoleum des Staatsgründers Atatürk.

Kein Türkei-Besuch ohne Kranzniederlegung am Mausoleum des Staatsgründers Atatürk.

(Foto: dpa)

Muslime in Deutschland könnten ihren Glauben in würdigem Rahmen praktizieren, sagt Wulff. "Gleichzeitig erwarten wir, dass Christen in islamischen Ländern das gleiche Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben, theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen." In Abwandlung seines eigenen Satzes über den Islam in Deutschland sagt Wulff: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei."

Charisma wird man dem deutschen Staatsoberhaupt nicht nachsagen können, doch er hat einen Sinn für den richtigen Satz am richtigen Ort. Das würdigt auch Wulffs Amtskollege Abdullah Gül. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wulff greift der türkische Staatspräsident ebenfalls einen Satz des Bundespräsidenten auf. Wulff hatte, ebenfalls in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit, gesagt, wenn deutsche Muslime ihm schrieben: "Sie sind unser Präsident" - dann antworte er "aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident!" Gül weist darauf hin, dass es in der Türkei natürlich auch christliche und jüdische Staatsbürger gebe. "Ich bin auch deren Präsident."

Quelle: ntv.de

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