Politik

Boykott oder kein Boykott? Viel Lärm um Gaucks Olympia-Absage

Zu den Olympischen Spielen in London reiste Gauck.

Zu den Olympischen Spielen in London reiste Gauck.

(Foto: dpa)

Bundespräsident Gauck wird nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen. Ist das ein Boykott? Nein, meint der DOSB-Generaldirektor Vesper. Andere freuen sich dagegen über eine Positionierung Gaucks gegen Menschenrechtsverletzungen.

IOC-Präsident Thomas Bach wollte die unangenehme Nachricht nicht kommentieren: Die Ankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck, nicht nach Sotschi zu reisen, hat die Diskussionen um die politisch belasteten Spiele an der russischen Schwarzmeerküste neu befeuert. Knapp zwei Monate vor der Eröffnungsfeier gewinnt die Frage nach der Menschenrechtslage als Kriterium für die Vergabe Olympischer Spiele weiter an Brisanz. Spätestens bei der Sitzung der Exekutive Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne Anfang der Woche wird sich Bach zur gesamten Thematik äußern müssen.

Mit einem Boykott habe Gaucks Schritt nichts zu tun, versuchte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper zu beschwichtigen. "Wer nicht hinfährt, der boykottiert nicht gleich etwas. Es ist mit Sicherheit nicht gegen die deutsche Mannschaft gerichtet", sagte der Spitzenfunktionär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Eine Reise von Gauck sei auch nicht geplant gewesen.

Vielmehr wolle das Staatsoberhaupt zur Willkommensfeier der deutschen Olympia-Mannschaft am 24. Februar nach München kommen, hieß es in einer DOSB-Erklärung. "Wir haben Herrn Bundespräsident Joachim Gauck eingeladen, die deutsche Olympia-Mannschaft bei dieser Gelegenheit zu empfangen und zu begrüßen", teilte der DOSB weiter mit. "Wir freuen uns, dass der Bundespräsident diese Einladung annehmen möchte." Die Mannschaft empfinde dies "als Zeichen der Anerkennung und des Ansporns".

Ob Merkel kommt, ist noch unklar

Kurz zuvor hatte eine Sprecherin Gaucks einen Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bestätigt, wonach das Staatsoberhaupt die Winterspiele nicht besuchen wird. Das Magazin interpretierte den Schritt als Kritik an den Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition in Russland. Gaucks Sprecherin betonte jedoch, seine Absage sei nicht als Boykott zu verstehen.

Es gebe keine feste Regel, dass Bundespräsidenten zu Winterspielen reisten, sagte seine Sprecherin. Auch Horst Köhler sei 2010 nicht ins kanadische Vancouver gekommen. Gauck hat Russland allerdings seit seinem Amtsantritt im März 2012 noch keinen offiziellen Besuch abgestattet. Sein Verhältnis zu Russland gilt als angespannt, sein Vater war mehrere Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert. Die Olympischen Sommerspiele und Paralympics in London 2012 hatte Gauck besucht.

Ein Sotschi-Besuch von Kanzlerin Angela Merkel blieb zunächst offen. Es gebe derzeit noch keine Planungen zu einer möglichen Reise der Kanzlerin, sagte eine Regierungssprecherin.

"Zarenfestspiele" statt Winterspiele

Politiker werteten Gaucks brisante Absage dennoch als Reaktion auf Moskaus rigiden Umgang mit Menschenrechten. Gauck hatte in der Vergangenheit wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt. Der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning nannte die Entscheidung eine "wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen". "Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele." Diese Rechnung gehe jedoch nicht mehr auf, sagte der Beauftragte der Bundesregierung. "Die Weltöffentlichkeit lässt sich von solchen Inszenierungen nicht darüber hinweg täuschen, dass Russland an anderer Stelle die Menschenrechte massiv verletzt."

Als starkes politisches Zeichen begrüßte Manfred von Richthofen den Schritt Gaucks. "Ich ziehe meinen Hut vor der Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten", sagte der DOSB-Ehrenpräsident im Deutschlandfunk. Es sei hervorragend, dass man sage: "Sport lebt nicht auf einer Insel der Seligen, sondern mitten in unserer Gesellschaft." Deshalb habe man sich an bestimmte Formen und Richtlinien zu halten.

Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth zollte Gauck Respekt: "Das ist eine starke Haltung des Bundespräsidenten und ein ermutigendes Signal", sagte die Grünen-Politikerin der Tageszeitung "Rheinische Post". Man dürfe einer Politik, die Homophobie zum Gesetz mache und die Opposition unterdrücke, nicht tatenlos zusehen, so Roth. Dass Bundespräsident Joachim Gauck ein Freund des Sports sei und gerade er wisse, was das Leben in einer unfreien Gesellschaft bedeute, mache den Boykott so glaubwürdig, sagte die Grünen-Politikerin.

Kritik von Union und SPD

Politiker von Union und SPD reagierten derweil skeptisch auf Gaucks Sotschi-Verzicht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff, Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, sprach in der Tageszeitung "Die Welt" von einem sehr persönlichen Bekenntnis, "vor dem ich großen Respekt habe". Es entspreche der konsequenten Haltung des Bundespräsidenten zu Menschenrechtsfragen. Einen generellen Boykottaufruf hält Schockenhoff dennoch für falsch: "Man muss sich fragen, ob man damit nicht auch die Menschen im Land trifft."

Auch der SPD-Bundestagabgeordnete Lars Klingbeil, stellvertretender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, sieht das Fernbleiben des Bundespräsidenten skeptisch: "Gaucks Entscheidung ist zu akzeptieren, allerdings hätte ein Besuch der Olympischen Spiele auch eine gute Möglichkeit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen und ihren Anliegen in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen", sagte Klingbeil der "Welt".

IOC-Präsident Bach, der die Spiele von seinem Vorgänger Jacques Rogge "geerbt" hat, muss den 2007 geschlossenen Pakt zwischen dem IOC und Kremlchef Wladimir Putin regelmäßig verteidigen, um einen möglichst reibungslosen Ablauf des Ringe-Spektakels sicherzustellen. Er sei überzeugt, dass Sotschi im Februar ausgezeichnete Spiele präsentieren würde, so der neue Ober-Olympier bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit. Neben Menschenrechtsverletzungen belasten Terrorgefahr, internationale Empörung über das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz und die Kostenexplosion das Großereignis.

Russland wünscht keine Kritik

In Russland stieß seine Absage auf Missbilligung: "Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will", twitterte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow.

Kritik an den Sotschi-Spielen ist in Russland ohnehin unerwünscht. Unter Polizeischutz ging am Wochenende in Moskau die Premiere der Dokumentarfilmproduktion "Putins Spiele" über die erste Winterolympiade in Russland ruhig zu Ende. In dem vom deutschen Fernsehen finanzierten Enthüllungsfilm sprechen Augenzeugen über das schwere Leben zwangsumgesiedelter Russen, undurchsichtige Geschäfte und Korruption sowie Umweltzerstörung bei der von Putin persönlich kontrollierten Vorbereitung. Zudem kommen immer wieder russische Geschäftsleute zu Wort, die von der verbreiteten Schmiergeldkultur erzählen.

Gaucks Abwesenheit könnte die weltweite Debatte über die Sotschi-Spiele intensivieren. Aktivisten hatten im Sommer zu einem Boykott der Spiele aufgerufen. Diese Forderungen waren von US-Präsident Barack Obama und dem britischen Premierminister David Cameron zurückgewiesen worden.

Quelle: ntv.de, hah/dpa/AFP/SID

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen