Dossier

Türkischer Staatsapparat AKP auf Linie zwingen

Der türkische Staatsapparat hat den Machtkampf mit der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP dramatisch zugespitzt. Die in der Justiz tief verwurzelte säkulare alte Elite will die Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit einem Verbotsantrag auf Linie zwingen, wenn nicht sogar von der politischen Bühne verbannen. Im Kern lautet der Vorwurf, die AKP nehme Kurs auf einen islamischen Staat und wolle die türkische Demokratie abschaffen. Dagegen erklärt die AKP, der Verbotsantrag sei ein schwerer Schlag gegen die Demokratie.

Seine Beschuldigungen hat Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya Medienberichten zufolge auf mehr als 162 Seiten zusammengestellt, die um Videoaufnahmen ergänzt sind. Der Chefankläger soll schon eine ganze Weile Material gegen die AKP gesammelt haben, die im vergangenen Jahr bei einem triumphalen Wahlsieg 47 Prozent der Wählerstimmen bekommen hat. Das Verfassungsgericht soll nun Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül sowie weiteren 69 AKP-Politikern die politische Betätigung untersagen.

Die AKP sei Brennpunkt für Aktivitäten gegen den säkularen Staat, heißt es in dem Verbotsantrag. Der Generalstaatsanwalt nimmt auch Erdogan selbst auf Korn. So tauchen dessen Plädoyers für das Kopftuch auf, welches selbst als politisches Symbol nicht aus den Hochschulen verbannt werden dürfe. Die Anklage erwähnt eine Mahnung Erdogans zum Weltfrauentag an die türkischen Frauen, mindestens drei Kinder zu bekommen. AKP-Versuche, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit zu verbieten, werden genannt. Zudem taucht eine umstrittene Erklärung Erdogans auf, wonach einem Mörder nur die Familie des Opfers vergeben kann, nicht aber der Staat.

Bruch mit dem Staatsgründer

"Die AKP steuert auf den politischen Islam zu. Das Grundprinzip des politischen Islam ist die Scharia", zitiert der Nachrichtensender CNN Türk aus dem Verbotsantrag. Der türkischen Armee und der säkularen bisherigen Elite um die Republikanische Volkspartei (CHP) ist bereits eine Studentin mit Kopftuch zu viel. Sie sehen darin einen Bruch mit dem Staatsgründer Atatürk, der die Trennung von Staat und Kirche zum Prinzip erklärt hatte. Im System der Türkei bedeutet dies Kontrolle der Religion durch den Staat.

"Ich glaube nicht, dass ein Verbot der AKP möglich ist", sagt der AKP-Vizechef Zafer Üskül. Die Partei sei in demokratischen Wahlen an die Macht gekommen. Der Verbotsantrag beschädige aber die Stabilität der Türkei. "Es ist großer Unfug, dass die AKP von der Demokratie weg steuert. Das Gegenteil ist richtig. Die AKP will Demokratisierung mehr als andere", sagt Üskül.

Die Meinung teilen auch europäische Diplomaten in der Türkei, auch wenn die Reformen für den von Ankara angestrebten EU-Beitritt nicht so schnell realisiert wurden wie versprochen. Ausgerechnet beim Kopftuch setzte die AKP an, während Freiheitsrechte für Minderheiten und eine Reform des Strafrechtsparagrafen 301 ("Beleidigung des Türkentums") nicht vorangekommen sind. Trotzdem kommt aus dem Ausland Unterstützung für die AKP. Der türkischstämmige EU-Parlamentarier Cem Özdemir wurde am Wochenende in der Türkei mit den Worten zitiert: "Der Staat sollte sich selbst ein neues Volk suchen."

Von Carsten Hoffmann, dpa

Quelle: ntv.de

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