Dossier

Vor den Toren der EU Abriss Türkei

Die Türkei versteht sich als Brücke zwischen dem christlichen Europa und der Welt des Islam und zugleich trotz mehrheitlich muslimischer Bevölkerung als Modell eines laizistischen Staates mit strikter Trennung von Staat und Religion. Das Nebeneinander von westlich orientierter Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft und einem in der Gesellschaft tief verwurzelten Islam mit einem teilweise militanten Nationalismus stellt das politische System immer wieder vor Belastungsproben. Dabei versteht sich das türkische Militär, das schon dreimal (1960, 1971 und 1980) zivile Regierungen entmachtet hat, als Sachwalter des von Staatsgründer Kemal Atatürk (1881–1938) begründeten Kemalismus. Die Armee beansprucht damit eine Schiedsrichterrolle im politischen Leben.

Schon 1963 äußerte die Türkei erstmals den Wunsch des Eintritts in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die in den 1990er Jahren intensivierten Beitrittsgespräche, die von einer breiten Mehrheit der türkischen Bevölkerung unterstützt werden, stießen jedoch bei vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf Vorbehalte. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob ein Land mit rund 74 Millionen Einwohnern überwiegend muslimischen Glaubens in ein vereintes Europa passt, galten auch das Rechtssystem, die Wahrung der Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten als verbesserungswürdig. Entsprechende Reformen wurden daraufhin eingeleitet. Zum Streitpunkt wurde aber auch die Zukunft der nur von der Türkei völkerrechtlich anerkannten, 1974 ausgerufenen Türkischen Republik Nordzypern und der Umgang mit den Armeniern in der Türkei.

1915 wirkt nach

Ein Tabuthema in der Türkei ist die Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg und die Frage, ob es sich bei den damaligen Ereignissen um einen Genozid handelte. Es belastet nicht nur das Verhältnis zum heutigen Staat Armenien, sondern auch zu allen anderen Staaten, in denen die Geschehnisse thematisiert werden. Armenien und die Mehrheit der internationalen Öffentlichkeit stufen den Tod von möglicherweise bis zu 1,5 Millionen Armeniern zwischen 1915 und 1917 im damaligen Osmanischen Reich als Völkermord ein. Aus offizieller Sicht der Türkei handelte es sich bei den Ereignissen hingegen um die tragischen Folgen einer durch den Verlauf des Krieges notwendig gewordenen Zwangsumsiedlung und nicht um ein geplantes Massaker. Eine umfassende Diskussion über die Ereignisse wird in der Türkei unterbunden.

Quelle: ntv.de

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