Dossier

Carlo Schlender Afghanistan-Tagebuch (6)

Wir haben es doch noch geschafft. Nachdem wir schon kurz davor waren, unsere Afghanistan Mission abzubrechen, war plötzlich doch ein Platz im Helikopter frei. Wir sind zwar nicht ganz bis zum Vorposten des Camps Narray auf 2.500 Meter gekommen, doch immerhin bis zum östlichsten Stützpunkt der ISAF Soldaten in Afghanistan.

Das Basecamp Narray ist von etwa 300 Soldaten vor sieben Monaten in der Provinz Kunar errichtet worden. Es liegt auf etwa 1.200 Meter Höhe, eingebettet zwischen 4.500 Meter hohen Bergen. Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Kunar Flusses, schmiegen sich die Lehmbehausungen eines afghanischen Dorfes in das Bergmassiv. Kameramann Jean Claude Ramig erinnert die Szenerie stark an die Hochtäler des Himalaja. Er hat dort in den vergangenen Jahren viele Expeditionen begleitet. Und auch die weiten Gebirgszüge des Karakorum bereits in den 80er Jahren bereist.

Allerdings ist diese Gegend hier nicht so friedlich. Überall in der Provinz Kunar hat es in den vergangenen Monaten heftige Kämpfe gegeben. Immer wieder ist auch Camp Narray mit Raketen beschossen worden. Denn die pakistanische Grenze und damit das Rückzugsgebiet der Taliban, Al Kaida Kämpfer und der Waffenschmuggler, liegt nur 15 Kilometer von hier entfernt.

Die Soldaten leben in einem Camp, das nur auf Zweckmäßigkeit gebaut ist. Um die Zelte sind zwei Meter hohe Barrieren aus Sand errichtet worden. Sie sollen die Soldaten vor herumfliegenden Splittern nach einem Granatenbeschuss oder Gewehrfeuer aus den angrenzenden Bergen schützen. Die Männer und Frauen schlafen mit sechs bis acht Personen in Zelten, die von riesigen Klimaanlagen beheizt oder gekühlt werden - je nach Jahreszeit. Gepinkelt wird einfach in Röhren mit 20 Zentimeter-Durchmesser, die in die Erde gerammt wurden und einen dreiviertel Meter herausgucken. Auch hier schützen Sandsackbarrieren vor Beschuss. Andere Geschäfte werden in winzigen nebeneinander liegenden Kabinen mit halbhohen Flügeltüren erledigt. Privatsphäre gibt es nicht.

Manche Soldaten halten nachts Wache, andere arbeiten am Tage. 24 Stunden herrscht in den Zelten ein Kommen und Gehen. Nie bleibt es länger als eine Stunde ruhig. Dazu wird die ohnehin kurze Nacht gern von Hubschraubern und Artilleriefeuer unterbrochen. Manchmal sind es Übungen, ein anderes Mal haben Beobachter, auf einer der drei Ausguckstationen, die es rund um das Camp auf den Bergspitzen gibt, Verdächtige ausgemacht. Die Schüsse lassen die Schlafpritsche jedes Mal erzittern. Ganz besonders, wenn die schweren 155 Millimeter Kanonen zum Einsatz kommen. Da öffnet sich schon Mal die dünne Eingangstür - allein durch den Rückstoss der Kanonen, obwohl diese von unserem Zelt mehr als 150 Meter Luftlinie entfernt stehen.

Wir treffen viele Soldaten die ein paar Sätze Deutsch sprechen. Die Meisten waren vor ihrem Afghanistan Einsatz in der Nähe von Schweinfurt stationiert. "Ich habe eine deutsche Freundin" ist fast eine Standardantwort auf die Frage, wie sie Deutsch gelernt haben. Für eine echte Unterhaltung reicht es aber nur bei ganz wenigen. Sprachen lernen ist nicht gerade beliebt bei Amerikanern. Schließlich spricht die halbe Welt zumindest ein paar Brocken Englisch. Das macht ein bisschen faul. 15 Monate müssen die Soldaten hier im Einsatz bleiben. Nur einmal erhalten sie 18 Tage Urlaub. Auch wenn viele uns sagen, sie mögen die Arbeit in Afghanistan, gern ist hier kaum einer. "Besser als im Irak zu sein", hören wir oft. Den Einsatz in Afghanistan können die meisten der Soldaten, mit denen wir sprechen, verstehen - Schließlich wurden hier die Männer um Mohammad Atta ausgebildet, die Amerika am 11.September 2001 den schlimmsten Terroranschlag der Geschichte brachten.

Doch angesprochen auf den Irak, unterstützen erstaunlicherweise die Wenigsten den Einmarsch der amerikanischen Truppen: "Wir hätten besser unsere Arbeit in Afghanistan zu Ende gebracht, statt den unsinnigen Einsatz im Irak zu beginnen und dringend benötigte Kräfte aus Afghanistan abzuziehen," sagt ein Soldat, dessen Namen wir besser nicht nennen, um ihn vor Repressalien zu schützen. Dabei deckt sich seine Meinung mit der fast aller anderen Soldaten, wenn wir uns privat mit ihnen unterhalten.

"Das Schlimmste ist die Ferne zur Familie", sagt uns Captain Springer. Obwohl der 31 Jahre alte Familienvater Hilfsgelder in Millionenhöhe verteilen kann, für den Bau von Straßen, Schulen und kleinen Stromkraftwerken, sind die Gedanken jeden Tag tausende Kilometer entfernt. Sein jüngstes Kind ist knapp ein Jahr alt. Sieben Monate ist er schon hier in Camp Narray, weitere acht stehen noch bevor. Die ersten Schritte, das erste Wort seiner Tochter - er wird nicht dabei gewesen sein.

"Im Februar kann ich vielleicht meine 18 Tage Urlaub nehmen." Die Sehnsucht bei diesen Worten ist unüberhörbar. Camp Narray ist ein Ort ohne Handys. So tief in den Bergen gibt es keine Sendemasten. Dementsprechend schwer ist die Verbindung nach Hause. Einzig Satellitentelefone funktionieren hier. Allerdings lässt die Verständlichkeit oft zu wünschen übrig, da sie aus Kostengründen über Computer laufen. Leichter ist der Kontakt über E-Mail. Doch auch das geht nur über Satellitenleitungen. Im Nachbarzelt teilen sich fünf Soldaten eine solche Verbindung. 100 Dollar kostet es für jeden im Monat. Doch nicht jeden Tag findet sich die Zeit für ein paar Zeilen an die Familie. Die Verbindung ist oft so langsam, das eine einzige Mail, vom Schreiben bis zum Versenden, schon mal eine Stunde dauern kann.

Wir fliegen, wenn es nicht erneut unvorhergesehene Änderungen im Flugplan gibt, am Sonntag nach Hause. Ich freue mich schon jetzt riesig, meine Freundin nach zwei Wochen wieder in den Armen zu halten. Darum beneiden mich alle Soldaten. 15 Monate ohne Zärtlichkeit, Privatsphäre, Gespräche und Kontakt mit den Kindern. Für viele Soldaten ist die permanente Sehnsucht danach schwerer zu verkraften, als die latente Gefahr einer Verletzung oder des Todes.

Quelle: ntv.de

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