Carlo Schlender Afghanistan-Tagebuch (7)
10.12.2007, 14:51 UhrZwei Wochen Afghanistan. Zwei Wochen gemeinsam mit US-Soldaten in einem Land, das meist nur Schlagzeilen durch Selbstmordanschläge, Kämpfe und Entführungen macht. All das ist jetzt erstmal vorbei. Heute sitze ich wieder im verregneten Köln, habe meine Freundin in die Arme genommen und bei Familie und Freunden die Erleichterung gespürt, dass ich wieder dort bin, wo keine Schüsse oder Raketen aus dem Hinterhalt lauern.
Ich trinke Cappuccino, genieße frische Brötchen und schaue auf Menschen, deren tägliche Sorgen mir nach so einer Reise erstmal klein erscheinen. Noch zu frisch ist die Erinnerung an die Raketen, die in das Camp einschlugen, und daran, dass wir voller Angst über die Schottersteine gehetzt sind, um uns in Sicherheit zu bringen. In Deutschland muss niemand um sein Leben fürchten, wenn er vor die Haustür geht - Unfälle ausgenommen. Wir machen uns Gedanken, das richtige Weihnachtsgeschenk zu finden, oder ob der Lotto Jackpott vielleicht schon bald wieder auf neue Rekordhöhen steigt. All dies sind Gedanken und Probleme, die auch ich mir schon bald wieder machen werde. Denn ich lebe nicht in Afghanistan, sondern in Deutschland. Aber ich bin dankbar für genau diese Art von Reisen. Denn es rückt viele der Probleme, die wir in Deutschland haben, zumindest für eine Zeitlang, in ein anderes Licht.
Wir Journalisten haben immer ein Rückreiseticket in der Tasche. Doch die Menschen, über die wir berichten, bleiben dort. Noch sind meine Gedanken am Hindukusch. Wie wird es dem zwei Jahre alten Akramullah, dessen Operation wir gefilmt haben, weiter ergehen? Werden alle Soldaten, die wir kennengelernt haben, ihren Einsatz überleben? Wird das, was wir an Aufbauarbeit gesehen haben, Bestand haben? In Afghanistan ist jetzt Winter. Die Kämpfe werden, wie jedes Jahr in dieser Zeit, zurückgehen. Die Taliban haben sich zum Großteil nach Pakistan zurückgezogen, sammeln dort neue Kräfte. Die ISAF Soldaten werden die Zeit nutzen, um sich auf den neuen Ansturm im Frühling vorzubereiten.
Was mir bleibt, ist ein Fazit. Und das fällt für mich überraschend positiv aus. Denn anders als erwartet, haben wir dort kaum Soldaten gesehen, die nur darauf aus sind, Feinde zu töten. Vielmehr haben wir eine militärische Führung mit Weitsicht erlebt. Die Soldaten haben offenbar begriffen, dass sich die Menschen in Afghanistan nicht mit Gewalt in die Knie zwingen lassen. Sie haben begriffen, dass sich die Herzen der Afghanen nur gewinnen lassen, wenn die Menschen sehen und spüren, dass es ihnen besser geht. Dass sie daran glauben können, eine Zukunft für ihre Kinder zu gestalten, die Frieden, Bildung und Gesundheit verspricht.
Eingebettete Berichterstattung
All dies haben wir im Osten Afghanistans vorgefunden. Und doch dürfen wir nicht übersehen: Es ist nur ein kleiner Teil des Landes. Diese Einheiten, bei denen wir zwei Wochen verbringen durften, sind speziell vom amerikanischen Verteidigungsministerium für uns ausgesucht worden. Wir können nicht beurteilen, wie es in anderen Landesteilen und Einheiten aussieht. Aus den vielen Gesprächen mit den Soldaten haben wir auch die Angst herausgehört, die neuen Soldaten, die in sieben Monaten diese Einheiten ablösen werden, könnten eine andere Strategie verfolgen. Es könnte eingerissen werden, was diese Soldaten mit viel Zuversicht aufbauen.
Wir konnten uns frei bei den Soldaten bewegen, durften bis auf wenige Spezialeinheiten alles filmen. Wir konnten offene Interviews und Gespräche führen. Wir sind einbezogen worden in Strategie und Taktik. Und doch waren wir "eingebettet". Der Bereich, den wir zu sehen bekamen, war klar abgesteckt und ausgesucht. Dies schafft kein repräsentatives Bild des Gesamtgeschehens in Afghanistan.
Wir werden die Lage in Afghanistan weiter beobachten, werden verfolgen, was das siebte Kriegsjahr dem Land bescheren wird. Meine Wünsche und Hoffnungen werden sowohl die Soldaten als auch die Afghanen begleiten. Vielleicht gibt es ja doch ein für alle Beteiligte gutes Ende der Auseinandersetzungen. Dann wäre der Tod so vieler Menschen, die ihr Leben in diesem Krieg gelassen haben, nicht ganz umsonst. Ich hoffe, ich konnte dazu beitragen, dass Sie die Vorgänge in Afghanistan vielleicht etwas besser verstehen können.
Quelle: ntv.de