"Das wird unseren Ansprüchen nicht gerecht" Al-Wazir kritisiert Olympia-Absage
21.11.2010, 14:51 Uhr
"Die Olympia-Abstimmung war ärgerlich": Der Hessische Grünen-Chef Al-Wazir.
(Foto: picture alliance / dpa)
Auf dem Grünen-Parteitag in Freiburg sprechen sich die Grünen mit knapper Mehrheit und vielen Enthaltungen . Der hessische Grünen-Chef Tarek Al-Wazir kritisiert die Art und Weise, wie seine Partei dabei vorgegangen ist: Sie werde den Ansprüchen seiner Partei nicht gerecht. n-tv.de sprach mit Al-Wazir über die Entscheidungsprozesse auf dem Parteitag, die Glaubwürdigkeit der Grünen und darüber, warum er noch nicht an einen Posten als Ministerpräsident denkt.
n-tv.de: Bei der Wahl zur Führungsspitze der Grünen hat Cem Özdemir fast zehn Prozentpunkte mehr erhalten als seine Mitvorsitzende Claudia Roth. Wofür wurde Roth abgestraft?
Tarek Al-Wazir: Ich bin ja schon lange bei den Grünen und ein Ergebnis, das bei knapp 80 Prozent liegt, bedeutet bei uns alles andere, als abgestraft zu werden. Cem Özdemirs Ergebnis ist für Grünen-Verhältnisse dagegen geradezu sensationell. Claudia Roths Ergebnis ist aber sicherlich durch die Debatte über die Olympia-Bewerbung in München im Licht innerbayerischer Streitigkeiten zu sehen. Ich würde das aber nicht überbewerten.
Der Parteitag hat sich mit knapper Mehrheit gegen die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 ausgesprochen und Roth sowie der gesamten Parteispitze damit eine schwere Schlappe bereitet. Wollen die Grünen keine Großprojekte mehr? Werden sie zur Dagegen-Partei, wie mancher befürchtet?
Ich empfand die Abstimmung als ärgerlich, weil dem Streit offensichtlich ein Streit zwischen München und Bayern zugrunde liegt und jetzt am Ende Schleswig-Holsteiner und Nordrhein-Westfalen diesen Konflikt entscheiden sollten. Die hohe Zahl der Enthaltungen deutet auf genau dieses Unbehagen hin. Wenn wir wirklich die Dagegen-Partei wären, dann hätte es ja sofort eine deutliche Mehrheit für diesen Antrag gegeben, nicht nur eine knappe relative Mehrheit, die man sogar schriftlich auszählen musste.
Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke hat Konsequenzen aus der Entscheidung angekündigt. Wie sollten die aussehen?
Auch wenn die Entscheidung knapp war, sie ist nun mal gefallen. Deshalb wird sich Claudia Roth aus dem Kuratorium der Bewerbergesellschaft zurückziehen. Generell müssen wir aber bedenken, wie wir mit der Flut von Anträgen umgehen, die am Ende dazu führen, dass wir auf einem Bundesparteitag nach 13 Stunden ununterbrochener Sitzung nach 22 Uhr eine solche Entscheidung mit je zwei Pro- und Contra-Reden á drei Minuten treffen müssen, und über hundert Delegierte schon erschöpft den Parteitag verlassen haben. Das wird unseren eigenen Ansprüchen an fundierter Information bei Großprojekten nicht gerecht.
Warum haben die Grünen eigentlich so viel Angst vor dem Begriff Volkspartei?
Wir haben keine Angst vor dem Begriff, aber die Volksparteien alten Typs lösen sich gerade auf. Politologen wie ich kennen sie unter dem Namen "Catch-all-Parties": Sie hatten in unterschiedlichen gesellschaftlich festgefügten Gruppen traditionelle Stammwähler. Genau das gibt es nicht mehr, und das wollen wir auch nicht sein.
Die Grünen verfügen doch auch über traditionelle Stammwähler.
Wir haben eine wachsende Stammwählerschaft, erhalten in den Umfragen aber deutlich mehr Prozente, als damit erklärbar wäre. Damit haben wir die unglaubliche Chance, in neue Wählerschichten vorzudringen. Aber trotz dieser Chance wollen wir Grüne uns als Partei unsere Wendigkeit erhalten, inhaltlich klar bleiben, und nicht so ein träger Tanker werden, wie es die Volksparteien alten Typs sind.
Fürchten Sie sich vielleicht vor den Ansprüchen, die mit dem Status als Volkspartei verbunden sein könnten?
Nein, denn wir sind ja, was die Inhalte betrifft, keine Ein-Punkt-Partei. Wir haben einen Kern, das ist die Ökologie. Aber wir haben in der Familienpolitik, in der Bildungspolitik und zunehmend auch in der Wirtschaftspolitik Kompetenzen, die von der Bevölkerung auch anerkannt werden.
Höherer Spitzensteuersatz, Vermögenssteuer, eine höhere Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung sowie mehr Ausgaben für Bildung und Energiewende: Die Grünen muten den Bürgern einiges zu. Zugleich sind die Versprechungen sehr groß. Wie sollen die vielen Forderungen der Grünen bezahlt werden?
In Ihrer Frage steckt bereits die Antwort. Wir werden die Zukunftsaufgaben, die dieser Staat leisten muss, nicht erfüllen können, indem wir Steuern senken. Wir müssen in bestimmen Bereichen sogar für Steuermehreinnahmen sorgen. Die Akzeptanz für diese Mehreinnahmen wird man aber nicht bekommen, wenn man nicht zugleich beweist, dass man sparsam ist, also einspart und Effizienzsteigerungen erzielt.
Aber eine Vermögenssteuer und ein höherer Spitzensteuersatz werden nicht ausreichen, um die von den Grünen gewünschten Ausgaben in einer solchen Höhe abzudecken.

Im Amt bestätigt: Özdemir und Roth. "Özdemirs Ergebnis war sensationell", sagt Al-Tazir.
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Natürlich müssen wir auch über Mehrwertsteuervergünstigungen reden. Das fängt bei dem Steuergeschenk für die Hoteliers an, das Bund und Länder fast eine Milliarde Euro kostet. hört da aber noch lange nicht auf. Aber die Reihenfolge muss sein: Ersten Einsparungen, zweitens Effizienzsteigerungen, drittens Einnahmeerhöhungen. Dass es auch diese Einnahmeerhöhungen braucht, haben wir schon vor der vergangenen Bundestagswahl gesagt, als die FDP das Gegenteil versprochen hat. Wie schnell die Wirklichkeit die FDP zu Kurskorrekturen gezwungen hat, sieht man ja. Insofern glaube ich, dass die Menschen lieber jemanden haben, der von Anfang an sagt: Wir werden es nicht billiger machen, sondern es wird für einige sogar teurer. Aber wir sagen es vor der Wahl und versprechen nicht das Blaue vom Himmel.
Wahrheit ist ein gutes Stichwort. Wo würden Sie denn als erstes den Rotstift ansetzen?
Als Landespolitiker kann ich sagen, dass meine Fraktion in Hessen hat in der vergangenen Woche ein Konzept vorgelegt hat, wie wir die Schuldenbremse bis 2020 einhalten können. Das fängt an bei Großprojekten, die niemand braucht, wie den Regionalflughafen in Kassel-Calden. Das geht weiter über eine Reduzierung des Personals in den obersten Landesbehörden, eine schrittweise Abschmelzung der Sonderzahlungen für Pensionäre bis hin zur Verkleinerung des Landtags. Zudem schlagen wir vor, Landkreise und Regierungspräsidien zusammenzulegen. Aber selbst wenn man das alles umsetzt, bleibt immer noch eine Riesenlücke. Die wird man nicht ohne zusätzliche Einnahmen schließen können. Aber die Bürger haben ein Anrecht darauf zu wissen, was wir ihnen versprechen, aber auch, was wir ihnen zumuten. Ich glaube, die Bevölkerung honoriert es inzwischen, wenn jemand die Wahrheit sagt.
Im Bund gehen Schwarz und Grün mit harten Bandagen aufeinander los, in den Ländern bleibt eine Koalition aber nicht ausgeschlossen. Wie passt das zusammen?
In einem Fünf-Parteien-System lassen sich Koalitionen nicht prinzipiell ausschließen. Die Inhalte müssen entscheiden. Aber die CDU hat sich in einer atemberaubenden Weise refundamentalisiert. Alle Modernisierungsansätze, die Angela Merkel in den vergangenen Jahren präsentiert hatte, scheinen wieder vom Tisch zu sein. Stattdessen machen sie brutale Klientelpolitik für Atomkonzerne und die Pharmalobby. Eine solche Politik ist mit den Grünen nicht zu machen. Wie sollte da ein Koalitionsvertrag aussehen?
Bekommen Sie damit aber nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn die Grünen in den Ländern hinterher doch Koalitionen mit der CDU eingehen? Wie sollen die Wähler das verstehen?

"Auftrag 2011": Die Grünen rüsten sich fürs Superwahljahr - aber wollen auf dem Boden bleiben.
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Am Ende entscheiden die Inhalte und auch die unterschiedlichen Ausrichtungen der Landesverbände. Das zeigt das hessische Beispiel: Wir haben immer harte Oppositionspolitik gegen Roland Koch und seine Politik gemacht. Und trotzdem haben wir zeitgleich mit Petra Roth in Frankfurt koaliert, die einen moderneren Kurs vertreten hat. Das war den Wählern leicht zu vermitteln, weil sie nur Koch und Roth zu sehen brauchten, um den Unterschied zu verstehen.
Sie haben Ihre Partei vor dem Größenwahn gewarnt, angesichts der guten Umfrage nun bei jeder Wahl einen Spitzenkandidaten für das Amt des Regierungschefs auszurufen. Eine Umfrage in Hessen hat in dieser Woche ergeben, dass Sie der beliebteste Politiker des Bundeslandes sind. Reizt es Sie nicht, hessischer Ministerpräsident zu werden?
Ob es mich reizt tut nichts zur Sache. Ich weiß nämlich, wie schnell sich die politische Stimmung wieder ändern kann. Es kann natürlich Situationen geben, in denen die Lage geradezu nach einem Kandidaten für das Amt des Regierungschefs schreit. Etwa wenn wir in den Umfragen stärkste Partei sind. Aber zugleich darf man nicht vergessen, dass wir gegenwärtig in drei Landtagen überhaupt nicht vertreten sind. Wenn wir in Sachsen-Anhalt zum Beispiel aus der außerparlamentarischen Opposition heraus erklären würden, wir treten mit einem Ministerpräsidentenkandidaten an, müssten wir ja schon bei der Verkündung lachen. Was also in manchen Ländern geradezu zwangsläufig ist, kann woanders Größenwahn sein. Das lässt sich auch nicht in Prozenten festmachen. Und in Hessen steht die Landtagswahl erst in drei Jahren an, deshalb mache ich mir solche Gedanken noch nicht. Das kann man tun, wenn sich ein Jahr vor der Wahl die Stimmung verfestigen sollte.
Wird es 2013 eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten geben?
Da gilt genau dasselbe: Es kommt auf die Umfragen und Stimmungen ein Jahr vor der Wahl an. Wir Grüne wollen mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben und haben als Warnung noch die Bilder im Kopf, wie Guido Westerwelle im gelben Wohnmobil als Kanzlerkandidat durch die Republik fuhr und sich alle über ihn lustig machten. Das wird uns nicht passieren, da können Sie sicher sein.
Aber einen Kanzlerkandidaten schließen Sie auch nicht aus?
Ausschließen will ich nichts. Wenn man hessische Landespolitik macht, weiß man sehr genau: Wenn alle alles ausschließen, geht am Ende nichts mehr.
Quelle: ntv.de, Mit Tarek Al-Wazir sprach Till Schwarze.