Dossier

Spiel mit dem Tod Als US-Spion unter den Taliban

Sein Leben hätte Anwar Saeed sowieso riskiert, ob nun im Kampf an der Seite der radikalislamischen Taliban und der El Kaida oder mitten unter ihnen als Spion für die US-Armee in Afghanistan. Er entschied sich für die letztere Option: Den 21-Jährigen lockten die rund 6000 US-Dollar (4300 Euro), die ihm amerikanische Agenten zur Belohnung versprochen hatten.

Dafür wollte er seinen alten Eltern eine bessere Gesundheitsversorgung bezahlen. Und er selbst hoffte, sich mit dieser Starthilfe selbstständig zu machen. Mit seiner Familie wollte er irgendwo in der Anonymität einer Großstadt untertauchen, weit weg von Süd-Waziristan. Hierhin wie in andere unwegsame Stammesgebiete im Grenzgebiet haben sich die Taliban und die Kämpfer des Terrornetzes El Kaida nach dem US-Angriff auf Afghanistan Ende 2001 zurückgezogen.

Mit dem Messer unter der Nase ausgepackt

Aber die Rechnung ging nicht auf. Bevor er noch den Abschuss von Raketen vom Typ Hellfire (Höllenfeuer) von einer US-Drohne auf die Verstecke zweier Taliban-Anführer im Gebiet von Khaisor und Sholam auslösen konnte, wurde Saeed enttarnt. "Er war einer von uns. Aber er kam uns manchmal suspekt vor", sagt ein Taliban-Kämpfer, der nur mit seinem Kampfnamen Mohammed Zia genannt werden will. Nachdem sie ihm auf die Spur gekommen seien, hätten sie ihm das Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr weggenommen. "Wir haben ihm das Messer unter die Nase gerieben, mit dem wir ihm die Kehle durchschneiden würden. Da hat er ausgepackt."

"Der Verräter", so berichtet Zia, habe heimlich zwei Minisender angebracht, die den unbemannten US-Flugkörpern den Weg zu den Angriffszielen in zwei Dörfern weisen sollten. Dort sollten sich die beiden Taliban in einer bestimmten Nacht im Oktober aufhalten.

Im wilden Süd-Waziristan, der Hochburg des pakistanischen Taliban-Anführers Baitullah Mehsud, darf ein US-Spion nicht mit Gnade rechnen. Mehsuds mehr als 20.000 Anhänger verüben von hier aus regelmäßig grenzübergreifende Anschläge auf die internationalen Soldaten in Afghanistan oder helfen den Aufständischen dort.

Entlarvte Spione werden stundenlang gefoltert, bevor sie mit einem Messer enthauptet oder aber erschossen werden. Ihre Leichen werden dann samt abgetrenntem Kopf und Warnung an einem öffentlichen Ort abgelegt: "Allen US-Spione wird das gleiche Schicksal ereilen."

Nicht mir Gnade zu rechnen

In Süd- wie auch Nord-Waziristan haben die USA in jüngster Zeit verstärkt Informanten angeworben. Gleichzeitig haben aber auch derartige Leichenfunde zugenommen. Die meisten Geheimdienstinformanten werden unter Stammesangehörigen angeheuert, die auf der afghanischen Seite des Stammesgebiets leben, jedoch häufig zu Besuch sind bei Verwandten jenseits der Grenze.

"Diese Afghanen führen den Auftrag entweder in eigener Regie aus, oder sie geben einem Helfer einen Teil des Lohnes ab", weiß ein pakistanischer Geheimdienstmann, und er fügt leicht verschämt hinzu, auch seine Kollegen ließen das US-Militär gelegentlich an "gewissen Informationen" teilhaben.

Mit Hilfe dieses ausgedehnten Spionagenetzes hat die US-Armee seit vergangenem August rund drei Dutzend Drohnenangriffe geflogen und dabei einige Extremisten getötet. Die Agenten bekommen als Ausrüstung Minisender, die noch nicht mal so groß wie ein Hemdkopf sind und deren eingebaute Batterie bis zu 48 Stunden hält. Diese unscheinbaren Chips werden im oder am Haus des Militanten angebracht oder an dessen Auto. Dort können sie von US-Satelliten geortet werden, die das Signal an die amerikanischen Truppen in Afghanistan oder direkt an eine US-Drohne übermitteln.

Rund 150 mutmaßliche US-Informanten getötet

"Die Rakete hat eine Treffgenauigkeit von wenigen Fuß (30,48 Zentimeter)", sagt Syed Shah Mehmood, der Geschäftsführer der Firma East West Infiniti, die unbemannte Flugkörper für das pakistanische Militär baut. "Sie trifft ein Ziel auch in einer Ansammlung von Häusern, ohne umliegende Gebäude zu beschädigen." Auf jeden Treffer aber folgen ein oder zwei neue Enthauptungen von Agenten.

Erst am 24. Dezember verbreiteten die Taliban ein Video, das fünf angebliche Spione zeigte, darunter auch pakistanische Soldaten. Ihnen wurde vorgeworfen, El-Kaida-Führer Abu Laith al-Libi, der Anfang 2008 zusammen mit elf anderen bei einem US-Raketenschlag in Nord-Waziristan starb, verraten zu haben. Der pakistanische Geheimdienstmann berichtet, allein in den vergangenen zwei Jahren seien rund 150 mutmaßliche US-Informanten ermordet worden.

Dieses Ende vor Augen, beschloss Saeed, dass die Taliban an ihm kein Exempel statuieren würden. Taliban-Kämpfer Zia sagt: "Wir waren auf dem Weg zum Hauptquartier, nachdem wir den Chip in Sholam entdeckt hatten. Ich saß am Steuer. Im Rückspiegel sah ich, wie er auf einem Gerät etwa halb so groß wie ein Handy Tasten drückte. Mir war nicht klar, was das war." Minuten später wurde das Fahrzeug von einer Rakete getroffen. "Meine vier Kameraden und Saeed starben. Wie durch ein Wunder kam ich mit ein paar Kratzern davon", sagt Zia. "Vielleicht wollte er nicht so sterben, wie wir die Leute töten."

Nadeem Sarwar, dpa

Quelle: ntv.de

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