Dossier

Streit um Arzt-Honorare Angst vor der Pleite

Seit 2009 gilt ein neues Honorarsystem für Ärzte – eigentlich sollte das Geld gerechter verteilt werden. Doch so richtig zu klappen scheint das nicht. Manche Ärzte erwarten so hohe Einbußen, dass sie von Kassenpatienten Vorauskasse verlangen. Legal ist das nicht. Zumindest etwas Verständnis hat Dr. Detlev Schulz aus Limburg für die Kollegen, die das tun. Er betreibt nach zwölf Jahren Studium und Facharztausbildung als Internist zusammen mit einem Kardiologen eine Gemeinschaftspraxis. Und sieht durch die Reform seine Praxis bedroht.

n-tv.de: Herr Dr. Schulz, verlangen Sie auch Vorauskasse von ihren Patienten?

Dr. Detlev Schulz: Nein, um Gottes Willen. Das ist die falsche Maßnahme – und rechtlich auch nicht richtig. Vielleicht ist das betriebswirtschaftlich verständlich, aber es ist nicht zu legitimieren. Wenn ein Kassenpatient mit seiner Versichertenkarte kommt, dann hat er Anspruch auf Behandlung.

Haben Sie denn Verständnis für die Kollegen, die das machen?

Nur eingeschränkt. Wofür ich Verständnis habe, ist, dass eine extra Privatsprechstunde eingerichtet wird. In dieser kann der Patient dann Leistungen bekommen, die die Kasse nicht bezahlt. Die muss dann natürlich der Patient bezahlen. Dabei handelt es sich vor allem um die Individuellen Gesundheitsleistungen, auch IGel genannt. Typisches Beispiel wäre hier ein junger Patient, der die Tauglichkeit für ein Sportstudio überprüfen lassen möchte. Da er aber keine Beschwerden hat und wahrscheinlich kerngesund ist, zahlt das die Kasse nicht. Ich kann ihm dann anbieten, für 25 Euro, also den einfachen Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte, ein Belastungs-EKG zu machen. Und das sind ja nun keine Reichtümer.

Aber zusammengefasst: Sie finden es schon verwerflich, von einem Kassenpatienten Bargeld für die Behandlung zu verlangen?

Verwerflich ja, aber verständlich.

Ärgert es Sie nicht, dass durch ein solches Verhalten das Bild über den raffgierigen Arzt immer bunter wird?

Doch, das ärgert mich. Das ist auch ein Teil des Problems. Wir werden durch solche Negativgeschichten und einige schwarze Schafe immer in ein falsches Licht gerückt. Wissen Sie, 95 Prozent der Kollegen mühen sich ab, die Patienten vernünftig zu versorgen – und das trotz der lausigen Honorierung.

Nun ist die Honorarreform gerade erst in Kraft getreten, und das erste Quartal ist noch gar nicht rum. Wieso wissen Sie schon, dass Sie Einbußen haben werden?

Das ist ganz einfach. Anfang März habe ich das so genannte Regelleistungsvolumen pro Patient für das zweite Quartal mitgeteilt bekommen. Als Internist bekomme ich nun 29 Euro pro Patient im Quartal, mein Kollege als Kardiologe 46 Euro. Egal wie oft der Patient nun im Quartal kommt und behandelt wird es bleibt bei den 29 Euro. Bei einem Patienten mit Schmerzen in der Brust muss ich im Sinne der Diagnostik etwa eine Herzuntersuchung machen, einen Ultraschall vom Bauchraum oder den Halsgefäßen, ein Belastungs- oder Langzeit-EKG und eventuell noch eine Magenspiegelung. Und die Ergebnisse will ich ja auch noch vernünftig mit dem Patienten besprechen. Das kostet mich mindestens 150 Euro, ich bekomme aber nur 29 Euro.

Wird das nicht durch Patienten ausgeglichen, deren Untersuchung nicht so aufwendig ist?

Nein, bei einem Facharzt ist das nicht so. Bei Hausärzten gelingt eine solche Mischkalkulation vielleicht, bei uns nicht. Bei einem Facharzt werden meistens aufwendige Untersuchungen gemacht, da geht es weniger darum, nur ein Rezept abzuholen.

Wie viele Patienten kommen pro Quartal in Ihre Praxis?

Circa 2000.

Und welche Einbußen kommen nun auf Sie zu?

Im Vergleich zum vierten Quartal 2008 bekommen wir pro Patient im Schnitt nun 20 Euro weniger. 20 Euro mal 2000 Patienten, das sind 40.000 Euro weniger im Quartal. Aber natürlich bleiben unsere fixen Kosten gleich. Konkret heißt das: Wir müssen die Leistungen rationieren, sonst gehen wir in die Pleite.

Leistungen rationieren heißt was konkret?

Das heißt, weniger Patienten einzubestellen. Es verlängert sich also die Zeit, die ein Patient auf einen Termin wartet. Und weniger Patienten bedeuten auch weniger Personal. Außerdem werden pro Patient weniger Leistungen erbracht.

Im Zuge der Reform erhalten andere Ärzte nun mehr Geld, die vorher weniger hatten. Wie begründen Sie denn den Kollegen Ihren Frust?

Es ist einfach insgesamt zu wenig Geld im System. Wir müssten eigentlich im Quartal mit 150 Euro pro Patient rechnen. Ich muss aber zugeben, dass auch mir die Berechnung der Regelleistung pro Patient schleierhaft ist. Es ist einfach nicht nachvollziehbar.

Das bringt uns zum Thema Kassenärztliche Vereinigung, die die Honorarreform als Vertreter der Ärzteschaft wesentlich mitgestaltet und letztlich unterschrieben hat

Ja, das ist die nächste Problematik. Allerdings müssten Ärzte ohne die KV mit den Kassen selbst Verträge machen. Nun sind aber Ärzte Amateure, was Verträge angeht. Das heißt, Krankenkassen hätten ein leichtes Spiel, uns Verträge anzudrehen, die für uns schlecht sind. Juristerei und Wirtschaftswissenschaft ist eben nicht unsere Profession.

Aber müssten die Ärzte auf die Kassenärztliche Vereinigung nicht deutlich mehr Druck ausüben?

Ja, das müssten sie eigentlich. Das Problem ist nur, dass es der KV gegenüber eine gewisse Duckhaltung gibt. Und es scheint bei den oberen Herren der KV eher ein Interesse zu geben, Ihre Pfründe zu sichern. Das Gerechteste wäre auf jeden Fall eine Direktabrechnung mit dem Patienten, wie in fast jedem anderen Land auch. Der Patient kommt, wird behandelt, erhält eine Rechnung, zahlt und bekommt das Geld von seiner Versicherung erstattet.

Aber wäre Ihre 81-jährige Patientin mit Herzerkrankung damit nicht überfordert?

Ja, bestimmt. Aber dann hätten wir auch eine Verwendung für die ganzen Krankenkassen, die könnten sich dann darum kümmern. Brauchen wir überhaupt so viele Krankenkassen? Und wo ist der Milliarden-Überschuss hin, den sie erwirtschaftet haben?

Wie konkret ist denn Ihre Praxis in Gefahr?

Ich sag es mal so: Ohne die Privatpatienten sähen wir ganz schön alt aus. Für 29 Euro im Quartal kann ich die Menschen einfach nicht behandeln. Allein eine Magenspiegelung kostet mich 35 Euro. Ich zahle also pro Kassenpatient sechs Euro drauf. Das macht doch betriebswirtschaftlich gar keinen Sinn.

Dennoch: Kürzlich gab es einige Protestveranstaltungen von Ärzten. Der Parkplatz war voll mit Porsche, Mercedes und BMW. Was fahren Sie denn für ein Auto?

Einen Renault Espace. Und ein älteres Motorrad. Es ist doch so: Fast jeder kann sich einen Porsche vor die Tür stellen. Das sagt aber nichts über sein Einkommen, denn das Fahrzeug kann auch geleast sein. Ich kann mir jedenfalls einen Porsche nicht leisten. Richtig Geld verdient haben Ärzte, die in den 70er-Jahren angefangen haben davon können wir heute nur noch träumen. Die Ärzte, die jetzt sauer sind, müssen Praxiskredite abzahlen, eine Familie ernähren. Denen geht es einfach an die Substanz.

Wie weit sind Sie denn vom angeblichen 120.000-Euro-Jahresverdienst eines Arztes entfernt?

Da habe ich deutlich weniger. Ärzte sind zurzeit einfach der Fußabtreter der Nation. Irgendwann wandern noch mehr aus. Was machen Sie denn dann? Alle sind krank, und es ist kein Arzt mehr da? Oder nur noch welche, die Sie nicht verstehen?

Mit Dr. Detlev Schulz sprach Jochen Müter

Quelle: ntv.de

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