Vom Bauklotz zum Bauwerk Architektur in der Schule
25.05.2007, 08:47 UhrDie blonde Kim hat heute die Bauregie. "Los, halt' die Wand fest, damit wir sie fixieren können", kommandiert die Neunjährige ihre Mitschüler, die gerade schwer damit beschäftigt sind, die Wände für ein Modell des Hamburger Jenisch-Hauses aufzurichten. "Ihr macht das genau richtig", lobt Susanne Szepanski, die Architektur-Projekte in Kitas und Schulen anbietet. "Unsere Lebensräume stehen vor radikalen Veränderungen", erläutert sie. "Ich möchte die Kinder auf die gebaute Umwelt aufmerksam machen, sie ermuntern, das Alltägliche bewusster wahrzunehmen. Daher arbeiten wir außer in Klassenzimmern, Werkstätten und Ateliers auch auf der Straße oder auf Spielplätzen." Bundesweit gibt es diverse Initiativen für architektonische Früherziehung.
"Kinder sind schlau und extrem wild auf die Welt. Mit ihnen kann man prima bauen, fühlen, denken, philosophieren, denn sie haben kaum Mauern im Kopf", sagt Szepanski. Die Architektur eigne sich in besonderer Weise für interdisziplinäres Arbeiten. "Es geht nicht ums Dozieren. Ich will auch keine kleinen Architekten heranzüchten. Die Kinder sollen Spaß haben und für kurze Zeit selbst kleine Künstler werden." So schleppt sie unermüdlich riesige Lagen Wellpappe, Klebstoffe, Baupläne und Messinstrumente heran. Die 43-Jährige hat ein Büro für Architekturvermittlung für Kinder und Jugendliche und ist Projektleiterin für die Initiative "Architektur und Schule" der Hamburgischen Architektenkammer.
Dabei geht es sehr professionell zu. "Wir basteln nicht nur einfach so, wir benutzen das gleiche Material, das auch in Büros verwendet wird." Es gibt eine Baugruppe, eine Recherchegruppe und eine Historikergruppe. Die zehnjährige Kaja, die mit ihrem Team gerade einen Stammbaum der hanseatischen Senatorenfamilie anfertigt, begeistert sich besonders für die Mode der damaligen Zeit. "Wir haben uns überlegt, welche Kleidung wohl zu welchem Anlass getragen wurde", sagt sie und man sieht ihr an, dass sie in Gedanken bereits ebenfalls in einem der prächtigen Kleider steckt. "30 Diener hatten die damals", schwärmt auch ihre Schulfreundin Lucia.
"Obwohl Architektur das tägliche Leben der Menschen entscheidend prägt, ist sie nach wie vor kein selbstverständlicher Bestandteil des Schulunterrichts", sagt Claudia Schwalfenberg von der Bundesarchitektenkammer in Berlin, die die Projekte der Länderkammern unterstützt. Schüler, Lehrer und Eltern, die mit Hilfe öffentlicher Sponsoren langweilige Schulhöfe umgestalten, Kinder, die ihren Schulweg oder ihre Stadt erforschen, Beispiele gibt es viele.
"Ansätze, das Verständnis für die gebaute Umwelt bereits im Vorschul-und Schulalter zu fördern, gibt es bundesweit mit sehr unterschiedlichem Erfolg", sagt Architektur-Publizist Gert Kähler. In vielen Lehrplänen sei das Thema nur ein Teil des Kunstunterrichtes und oft reduziert auf seine ästhetische Seite. "Die Wirkung von gebauter Umwelt auf den Menschen und umgekehrt kommen oft nicht vor", außerdem seien viele Lehrer selbst dafür nicht genug ausgebildet, beklagt der Architekturkritiker. Schwalfenberg: "Man sollte überlegen, ob man Architektur nicht bundesweit als eigenständiges Fach an den Schulen einführen sollte." Lehrerfortbildung und die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien bieten die Kammern bereits an.
Klassenlehrerin Sabine Minnemann ist mit dem Verlauf des Projektes zufrieden. Die praktischen Teile seien bei den Kindern besonders gut angekommen. So hatte die 4 a der Grundschule in Hamburg-Nienstedten das Haus der Jenisch-Familie vor Ort genau vermessen. Bei einem Ausflug in das Museumsdorf Kiekeberg konnten die Kinder dem Leben auf dem Land nachspüren und am Beispiel der Krameramtsstuben sahen sie, auf welch engem Raum manche Menschen damals wohnten.
Ob sie lieber auf dem Land oder in der Stadt gelebt hätten? -Johannes (10) muss nicht lange überlegen: "Lieber auf dem Land da kann man doch besser Fußball spielen". Julia (9) würde trotz der tollen Kleider lieber gar nicht im vorigen Jahrhundert leben: "Ich würde ausrasten. Da gab es doch noch keine Autos und Flugzeuge. Wie bitte schön, sollte ich dann wohl nach New York kommen?"
Von Karolin Köcher, dpa
Quelle: ntv.de