Dossier

"Gibst du mir, geb ich dir" ... Basarhandel im Kanzleramt

Die erste große Steuer-Schlappe erlebte Angela Merkel vor zehn Jahren. Bei einem Scheitern am 18. Dezember im Bundesrat wäre das Desaster für die jetzige Kanzlerin ungleich größer.

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

Erregt sprang der Kanzler auf: "Ihr habt jetzt genug gekriegt. Ich muss jetzt weg", beschied Gerhard Schröder die Bittsteller aus den Ländern. Geduldig hatte er sich die teuren Wünsche nach neuen Ortsumgehungen und anderen Extravaganzen angehört. Doch auf die im Kanzleramt versammelte Runde kam es nicht mehr an. Seinen Triumph hatte der Sozialdemokrat da schon in der Tasche. Geschickt geködert, kippten Mitte Juli 2000 fünf Landesregierungen um und bescherten Rot-Grün bei der Steuerreform einen unerwarteten Prestige-Erfolg. Vor dem Lockruf des Geldes knickten damals auch CDU- Größen wie Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen ein.

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Blamierte hieß Angela Merkel. "Die CDU steht fest zusammen", hatte sich die Parteichefin noch zwei Tage vor der Abstimmung fest überzeugt gezeigt, dass die Steuerreform vom Unions-dominierten Bundesrat kassiert wird. Von den Deserteuren aus den eigenen Reihen wurde sie damals nach allen Regeln der politischen Kunst vorgeführt. "Wir hätten mehr erreichen können - es war eine Frage der Nerven", kochte Merkel nach der Schlappe.

Das Steuer-Desaster hinterließ lange Zeit Spuren in Merkels Ansehen und soll sich jetzt auf keinen Fall wiederholen. Tragende Akteure des damaligen Hinterzimmer-Deals wie der FDP-Mann Rainer Brüderle aus Rheinland-Pfalz, der mit Schröder die entscheidenden Kompensationsgeschäfte für die Länder zu Lasten Merkels festgeklopft hatte, sitzen seit kurzem mit am Berliner Kabinettstisch.

Schlüsselrolle für Carstensen

Die Schlüsselrolle bei dem Pokerspiel, um das erste große schwarz-gelbe Vorhaben über die parlamentarische Hürde zu bringen, nimmt jetzt Peter Harry Carstensen ein. Scheitert das Projekt mit dem sperrigen Titel "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" am 18. Dezember beim Schwur im Bundesrat am Widerstand der schwarz-gelben Kieler Landesregierung, wäre die Blamage für die jetzige Regierungschefin noch ungleich größer als vor knapp zehn Jahren.

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(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Im Kanzleramt wird die Lage deshalb durchaus ernst genommen: Für den eigentlich arbeitsfreien kommenden Sonntag hat Merkel den widerspenstigen Carstensen gemeinsam mit Wolfgang Kubicki, dem starken Mann der Waterkant-FDP, ins Kanzleramt gebeten, um nach gesichtswahrenden Auswegen zu suchen.

Basarhandel im Kanzleramt

Per kalkuliertem Eklat samt Wutausbruch ("Ihr habt sie doch nicht alle") hatte Carstensen bei der Kaminrunde der Länderfürsten die Messlatte für den politischen Wegezoll, den die Kieler für ihre Zustimmung erwarten, ziemlich hoch gelegt. Merkels Spielräume sind nicht gerade groß. Ein einfaches Einknicken der Schleswig-Holsteiner ist kaum zu erwarten. Eine Überweisung des Gesetzes in den Vermittlungsausschuss kann sich die Kanzlerin kaum leisten. Ausgeschlossen scheint auch, dass die CSU sich darauf einlassen würde, auf die geplanten Steuerprivilegien für Hotels zu verzichten.

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(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Deshalb könnte es am Sonntag auf einen vorweihnachtlichen "Basarhandel" im Kanzleramt hinauslaufen - allen bisherigen Dementis zum Trotz. "Ich kaufe niemanden raus", hatte die Kanzlerin zwar noch dieser Tage versichert. Diese "Unsitte" aus Schröders Zeiten wolle man gar nicht erst wieder einführen, assistierte Unions-Fraktionschef Volker Kauder.

Politisches Mikado

Doch hinter den Berliner Kulissen wird bereits über weniger offensichtlich plumpe Verkaufsstrategien nachgedacht. Im Gespräch ist etwa, die Kieler stillschweigend mit zusätzlichen Geldern für den Straßenbau aus dem Etat des neuen Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zu ködern - allerdings mit zeitlicher Verzögerung bei der Umsetzung, um nicht den Anschein von "Lösegeldzahlungen" zu erwecken. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) brachte am Wochenende eine weitere Variante ins Spiel, um noch mehr ablehnende Landesregierungen umzustimmen. "Wir arbeiten an einem politischen Gesamtkunstwerk", verkündete die Merkel-Vertraute. Sie stellte den Ländern als Kompensation höhere Zuwendungen im Bildungsbereich in Aussicht.

Wie solche oft undurchsichtigen Geschäfte mit vielen Neben- und Zusatzvereinbarungen eingefädelt werden, hat Ramsauer in seiner früheren Funktion als CSU-Landesgruppenchef einmal so beschrieben: "Es ist so die Manier des Basarhandels, so ein bisschen was zu geben und dann zu schauen, wie reagiert der Andere, wer bewegt sich zuerst - politisches Mikado."

Quelle: ntv.de, Joachim Schucht, dpa

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