Dossier

Jahrestags des Geiseldramas Beslan kommt nicht zur Ruhe

Angehörige während der Beerdigung der Opfer des Geiseldramas weinen am Sarg von Albert Baniyev. (Archivbild von 2004)

Angehörige während der Beerdigung der Opfer des Geiseldramas weinen am Sarg von Albert Baniyev. (Archivbild von 2004)

(Foto: dpa)

Auch fünf Jahre nach dem blutigsten Terroranschlag der russischen Geschichte in der Stadt Beslan im Nordkaukasus kommen die Hinterbliebenen der mehr als 330 Toten nicht zur Ruhe. Vor dem Jahrestag der Tragödie, die am 1. September 2004 begann, fordern die Angehörigen der Opfer und Überlebende ein Treffen mit dem russischen Präsidenten. Noch immer sei das Geiseldrama, bei dem Islamisten zum ersten Mal brutal hunderte Kinder als Ziel nahmen, nicht aufgeklärt, schrieb die Opfer-Organisation Golos Beslana (Stimme Beslans) an Kremlchef Dmitri Medwedew. Bei dem Blutbad starben auch 186 Schüler, Dutzende Überlebende leben bis heute mit schwersten Behinderungen.

Das Geiseldrama durchbrach nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA einmal mehr die Grenze des Fassbaren. Am ersten Tag des neuen Schuljahres überfielen mehr als 30 mit Sprengstoff bewaffnete Terroristen die Schule Nr. 1 in dem Städtchen Beslan in der russischen Teilrepublik Nordossetien. Die Männer kamen aus den Teilrepubliken Inguschetien und Tschetschenien. Sie nahmen 1128 Geiseln, darunter auch Schulanfänger, Lehrer und Eltern.

Stille nach kritischen Fragen

Präsident Medwedew besucht einen Friedhof, auf dem Opfer des Beslan-Anschlags beerdigt sind.

Präsident Medwedew besucht einen Friedhof, auf dem Opfer des Beslan-Anschlags beerdigt sind.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Forderungen der Hinterbliebenen, eine Verstrickung russischer Geheimdienste in das Massaker von internationalen Ermittlern untersuchen zu lassen, lehnt Moskau ab. Dabei gab es zumindest seitens einer parlamentarischen Untersuchungskommission anfangs durchaus auch Schuldzuweisungen an die Verhandlungsführer, sie hätten bei der Rettung der Geiseln versagt. Doch je kritischer die Fragen wurden, desto stiller wurde es um die Untersuchung.

Das Komitee der Mütter von Beslan geht davon aus, dass in Wirklichkeit etwa 50 Terroristen an dem Anschlag beteiligt waren. Verurteilt wurde nur einer, der tschetschenische Untergrundkämpfer Nurpaschi Kulajew. Er sitzt lebenslang. Ehemalige Geiseln hatten beklagt, dass sie unter den getöteten Terroristen nicht diejenigen wiedererkannten, die sie 52 Stunden lag bei sengender Hitze ohne Wasser und Essen gequält hätten. Sie vermuteten, dass einige Täter entkommen seien.

Welche Rolle spielte der Kreml?

Vor dem Jahrestag hat die Gewalt in der Konfliktregion wieder deutlich zugenommen. Bei einem Selbstmordattentat in der russischen Teilrepublik Inguschetien starben Mitte August mindestens 25 Menschen, mehr als 200 wurden bei dem Anschlag auf dem Hof des Polizeihauptquartiers in Nasran verletzt. Bei blutigen Auseinandersetzungen zwischen russischen Sicherheitskräften und islamistischen Untergrundkämpfern starben zuletzt auch hochrangige Staatsbeamte sowie Menschenrechtler.

Auch angesichts dieser Gewaltexzesse vergessen die Menschen in Beslan den Terror nicht. Die Überlebenden treibt bis heute der Verdacht um, dass der russische Staat von der Ortspolizei bis hinauf zum damaligen Präsidenten Wladimir Putin bei der Rettung der Kinder versagt hat und dies vertuschen will. Nach offiziellen Angaben löste am 3. September eine verhängnisvolle Explosion in der Turnhalle der Schule ein stundenlanges Feuergefecht zwischen den Terroristen und den Sicherheitsbehörden aus.

Ein Luftballon für jeden Toten

Der Duma-Abgeordnete Juri Saweljew, der in der Untersuchungskommission mitgearbeitet hatte, berichtete 2006, dass Eingreifkräfte die Turnhalle ohne Rücksicht auf die Kinder gestürmt hätten. Gegen den Rat des mit Zivilisten besetzten Krisenstabs habe eine kleine Gruppe von Geheimdienstlern das brutale Durchgreifen angeordnet. Der Kreml habe sich nicht erpressen lassen wollen.

Viele Menschen in Beslan fühlen sich fünf Jahre nach dem Drama und der anfänglichen Welle an internationaler Hilfe heute alleingelassen. Auch deshalb wollen sie mit Medwedew sprechen. Zum trauernden Gedenken an das Blutbad werden sie wie jedes Jahr am 1. September am Ort des Grauens Kerzen anzünden. Am 3. September, um 13.05 Uhr, dem Zeitpunkt der ersten Explosion, sollen wieder 332 weiße Luftballons in den Himmel steigen - einer für jeden Toten.

Quelle: ntv.de, Ulf Mauder, dpa

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