Dossier

Stoiber vor dem Abgang Blick zurück im Zorn

Eine Gnadenfrist von neun Monaten hatte sich Edmund Stoiber noch ertrotzt, als ihm die CSU im Januar in Wildbad Kreuth die Gefolgschaft kündigte. Er präsentierte noch ein "Zukunftsprogramm Bayern 2020" und suchte womöglich gar ein Schlupfloch für den Rücktritt vom Rücktritt. Aber Ende September muss der Parteichef und bayerische Ministerpräsident den Hof tatsächlich räumen.

"Ich übergebe meinem Nachfolger ein wohl bestelltes Feld", sagte Stoiber bei seiner Abschiedsrede im Landtag und versteht bis heute nicht, warum man ihn eigentlich davongejagt hat. In Moskau und in Paris bekam er noch einmal den roten Teppich ausgerollt, die EU schafft einen Beraterposten für ihn, und Gerhard Schröder, gegen den er als Kanzlerkandidat 2002 knapp unterlegen war, besuchte ihn in Wolfratshausen. Von seinen eigenen Leuten dagegen fühlt er sich verraten.

Huber? Noch nicht reif für die "Champions League"

"Klar ist, dass ich natürlich nicht von mir aus in Kreuth meine Ämter zur Verfügung gestellt habe", sagte Stoiber dem "Stern". "Kreuth hat mir wehgetan." Offen bekennt er seinen Abschiedsschmerz - seine ganze Leidenschaft ist doch die Politik, und drei Jahre hätte er schon noch weitermachen wollen. "Andere wollten etwas anderes", sagte er bitter.

Erwin Huber und Günther Beckstein, seine engsten Weggefährten, haben in Kreuth die Nachfolge ausgekartelt und ihn gestürzt. Seither durfte der stellvertretende Ministerpräsident Beckstein keine Kabinettssitzung mehr leiten, und Huber bekam zu hören, er spiele noch nicht in der Champions League.

Fallbeil und Kanzlerkandidat

Als der Jurist Stoiber 1974 in den bayerischen Landtag einzog, führte sein Weg 30 Jahre lang nur nach oben. Die Talfahrt dauerte nur drei Jahre.

CSU-Chef Franz Josef Strauß berief ihn 1978 zum Generalsekretär. Als "blondes Fallbeil" organisierte er Strauß' Kanzlerkandidatur. Als Innenminister setzte er sich 1993 im Kampf um die Nachfolge des gestürzten Ministerpräsidenten Max Streibl gegen den Parteichef und Bundesfinanzminister Theo Waigel durch. 1999 erbte er auch den Parteivorsitz und gab fortan allein den Ton an.

Stoiber beschrieb sich einmal als "erster Manager dieses großartigen Landes". Seine Arbeitswut wurde bewundert, gefürchtet und verspottet. Aber seine Bilanz kann sich sehen lassen. Als er anfing, lag Bayern im Ländervergleich im Mittelfeld. Heute gehört es bei Wirtschaft, Arbeitsplätzen, Bildung und Lebensstandard zur Spitze.

Die knappe Niederlage gegen Schröder schmerzt bist heute

Kein anderer Bundespolitiker ist so in seiner Heimat verwurzelt wie der Oberbayer. Bundespräsident oder EU-Kommissionspräsident zu werden, schlug er aus. Im Freistaat hatte er Erfolg - in Berlin weniger. Die CDU gab Stoiber als Kanzlerkandidat 2002 den Vorzug vor der eigenen Parteivorsitzenden Angela Merkel. Die knappe Niederlage schmerzt ihn bis heute: "Das war schon enttäuschend, als der Ball zwischen Latte und Torlinie hin und her sprang und dann doch nicht reinging."

Dafür bereiteten ihm die Bayern 2003 den größten Triumph mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die CSU im Landtag. Es war aber der Anfang vom Ende.

Sparkurs und Wankelmut ließen den Lack blättern

Mit dem Ehrgeiz, als erstes Bundesland schuldenfrei zu sein, peitschte er in Bayern einen Sparkurs durch und verprellte viele Anhänger. Als er 2005 als Merkels Wirtschaftsminister nach Berlin eilte und plötzlich doch wieder zurückkam, fühlte sich die CSU-Fraktion als Spielball seiner persönlichen Ambitionen und vor aller Welt blamiert. "Du hast den Bayern ihren Stolz genommen und dem Freistaat seinen Nimbus", schleuderte ihm ein Abgeordneter entgegen. Stoiber sagte kleinlaut: "Ich leide wie ein Hund."

Er bekam eine zweite Chance, doch der Lack war ab. Misstrauisch starrte die CSU auf die Umfragen. Die Bespitzelung der Landrätin Gabriele Pauli ließ die alten Wunden aufbrechen: In Kreuth war dann Feierabend.

Stoiber bleibt Abgeordneter des Stimmkreises Bad Tölz-Wolfratshausen und reist einmal im Monat nach Brüssel. Aber mit 66 Jahren muss er lernen, mehr Freizeit zu genießen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen