Gegen Politikfrust und Vorurteile Bundestagsmobil auf Tour
29.06.2008, 12:57 UhrDemokratie lebt von den Menschen, die sich an ihr beteiligen. Doch Politikfrust sorgt dafür, dass die Wahlbeteiligung fast überall in Deutschland sinkt. Parteien an den rechten und linken Rändern des politischen Spektrums haben Zulauf. Jedes Jahr schickt daher der Bundestag einen mehr als 16 Meter langen Info-Truck quer durch Deutschland - er soll helfen, Vorurteile gegen Abgeordnete abzubauen und die Bürger für Politik begeistern.
Von März bis Oktober hat das Bundestagsmobil im vergangenen Jahr rund 10.000 Kilometer zurückgelegt, an 60 Orten wurden mehr als 100.000 Besucher gezählt. "Die Vorurteile sind immer gleich: "Das ist Berlin, das ist weit weg. Die Probleme hier interessieren keinen"", sagt der Referent für mobile Öffentlichkeitsarbeit des Bundestags, Stefan Hötte. Diese Vorurteile abzubauen sei schwer, aber die Begleiter des Trucks und lokale Bundestagsabgeordnete stellten sich allen Fragen.
In acht Jahren durch alle Wahlkreise
Das Ziel: in zwei Legislaturperioden - also innerhalb von acht Jahren - möglichst alle 299 Wahlkreise in Deutschland anzufahren. Damit soll der Kontakt zu Leuten hergestellt werden, die nicht nach Berlin kommen können, insbesondere Schüler und ältere Menschen, sagt Hötte. 2007 habe der Schwerpunkt auf Norddeutschland gelegen, aktuell tourt das Bundestagsmobil durch den Südwesten.
Drei von insgesamt rund 30 freien Mitarbeitern begleiten den Truck jeweils eine Woche, sagt Hötte. Die meisten seien Absolventen eines Politik- oder Jurastudiums. "Die müssen hier vor uns einen Vortrag halten und werden fachlich abgeprüft", sagt Hötte. "Das sollen aber keine Fachidioten sein, sondern Leute, mit denen man sich auch gerne mal unterhält."
Michael Kresin ist einer von diesen Leuten. Er begleitet den Truck seit Jahren und weiß, dass es nicht immer bei einer netten Plauderei bleibt. "Wir sind der Blitzableiter", sagt der 43 Jahre alte Volkswirt. Zuletzt sei die geplante Erhöhung der Abgeordnetendiäten ein "Riesenthema" gewesen. Auch die Gesundheitsreform werde immer wieder heiß diskutiert.
Die meisten Bürger freuten sich über den "Besuch" des Bundestags, viele nutzten zudem die Gelegenheit, mehr über die Stadt Berlin zu erfahren. Andere wollten ihre Befürchtungen und Ärgernisse loswerden, sagt Kresin. Auch Petitionen würden abgegeben. "Wir leiten das alles weiter." Zu jeder Station des Bundestagsmobils, das seit dem Jahr 2000 mit diesem Konzept die Republik bereist, werde ein Bericht über das Stimmungsbild abgefasst.
Wer ist der Bundestagspräsident?
Der Truck bietet Platz für bis zu 70 Besucher. Eine riesige Fotowand sorgt im Inneren dafür, dass man meint, im Plenarsaal des Bundestags zu stehen. Filme, PC-Stationen, Schaubilder und Broschüren informieren über Bundestag und Demokratie. Vor allem das Amt des Bundestagspräsidenten sorge oft für Verwirrung, sagt Tourbegleiter Kresin. Dass es formell das zweithöchste Amt im Staate ist, wüssten nur ganz wenige. Und die meisten verwechselten es ohnehin mit dem Amt des Bundespräsidenten.
Zur mobilen Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages gehören neben dem Info-Truck ein Messestand und eine Wanderausstellung. Insgesamt haben diese Maßnahmen im vergangenen Jahr Kosten von rund 1,3 Millionen Euro verursacht. Den größten Zulauf mit rund 150 000 Besuchern verzeichnete der Messestand bei nur 10 Auftritten. Die 75 Wanderausstellungen in Banken, Rathäusern und Einkaufszentren lockten geschätzte 45.000 Menschen an.
5000 Besucher in einer Woche
Die meisten Gäste hat das Bundestagsmobil - man mag es kaum glauben - im Hochsommer in Urlaubsorten. "Wir waren im vorigen Jahr am Timmendorfer Strand bei wunderschönem Wetter. Das war ein Riesenerfolg", sagt Höttes Tourplanerin Gabriele Kienitz. Der Truck sei jeden Tag voll ausgelastet gewesen, am Ende der Woche habe man insgesamt 5000 Menschen gezählt. So scheinen die Deutschen zumindest im Urlaub den Politikfrust hinter sich zu lassen.
Von Tobias Goerke, dpa
Quelle: ntv.de