"Der anatolische Schwabe" Cem Özdemir
16.11.2008, 12:00 UhrDer neue Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir ist der erste Parteichef türkischer Herkunft in Deutschland. Der smarte Pragmatiker steht für Offenheit für neue Wähler, für eine jüngere Generation und einen Hauch von Pop und Leichtigkeit in der Politik. Kritiker finden den 42-Jährigen mit den prägnanten Koteletten zu glatt oder auch zu nett. In seiner Kandidatenrede auf dem Parteitag in Erfurt setzte der "anatolische Schwabe" mit saftigen Parolen dagegen Akzente als bissiger Wahlkämpfer.
Im Gespräch wirkt der geschickte Redner meist ernst, konzentriert und bescheiden. Plaudereien auf Türkisch in seinem Lieblingcaf in Berlin-Kreuzberg gehören für ihn dazu, blitzschnell schaltet er um und skizziert politische Vorstöße in striktem Einklang mit grüner Programmatik. Die Partei erhofft sich von dem weltoffenen und telegenen Özdemir neue Aufmerksamkeit. Als "Bonsai-Obama" oder "Obamale" wird der erste Parteichef aus einer Zuwandererfamilie in Anspielung auf den nächsten US-Präsidenten Barack Obama bezeichnet. Mit der Parole "Yes, we Cem" befeuern Medien und Grüne die hochgesteckten Erwartungen an den neuen Parteiführer.
Teils steiniger Aufstieg
Massive türkische Medienpräsenz zeigte auf dem Parteitag, dass das Gastarbeiterkind stark in die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland ausstrahlt. Er sagt: "Ich bin so türkisch wie ich deutsch bin." Ansonsten versucht er, allzu hochfliegende Ansprüche an ihn nach seinem gelungenen Comeback mit einem Wahlergebnis von 79,2 Prozent der Delegiertenstimmen zu dämpfen.
Özdemir hatte einen teils steilen, teils steinigen Aufstieg hinter sich. Seine Familie lebt seit mehr als 40 Jahren im schwäbischen Bad Urach, dem türkischstämmigen Sohn waren Demütigungen in der Kindheit nicht fremd. Zu den Grünen kam er mit 15 Jahren mit ökologischen Entwürfen für die Kleinstadt. Der gelernte Erzieher war während der rot-grünen Regierung zwischen 1998 und 2002 innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag.
Kein glatter Weg
Dann stolperte Özdemir über die private Nutzung von Vielflieger-Rabatten und einen Kredit des PR-Beraters Moritz Hunzinger. Nach einem Stipendium in den USA und der Heirat mit einer Argentinierin zog es Özdemir zurück in die Politik. 2004 wurde er Abgeordneter des Europäischen Parlaments, wo er zum Außenpolitik-Experten seiner Fraktion avancierte.
Nach einigem Zögern gab der Vater einer kleinen Tochter die Bewerbung für den Bundesvorsitz seiner Partei bekannt. Der Weg verlief nicht glatt. Mitte Oktober scheiterte Özdemir bei seiner Bewerbung um ein Bundestagsmandat an den baden-württembergischen Grünen. Unklare Äußerungen zu neuen Kohlekraftwerken musste er teils revidieren.
Quelle: ntv.de, Basil Wegener, dpa