Sanierungskurs unter Druck Dämpfer für Steinbrück
11.09.2007, 15:37 UhrWenn die Kasse klingelt, fällt das Sparen am schwersten. Finanzminister Peer Steinbrück und die Haushaltspolitiker der großen Koalition bemühen diesen Leitsatz in letzter Zeit gerne, um ihr Dilemma zu beschreiben: Der Boom der Steuereinnahmen im Wirtschaftsaufschwung weckt allerorten Begehrlichkeiten und droht, jeden Sanierungskurs zu torpedieren. In der von Dienstag bis Freitag dauernden Haushaltswoche des Bundestages fehlt Steinbrück damit ein wichtiger Verbündeter: der Schwarze Peter, den er an die Wand malen könnte. Dabei unternimmt die Koalition Experten zufolge längst nicht genug, um die Scherben einer jahrelangen Verschuldungspolitik aufzuräumen.
Steinbrücks Haushaltsentwurf 2008 und seine mittelfristige Finanzplanung bis 2011 warten mit markigen Kennziffern auf: Die Kreditfinanzierungsquote ist nächstes Jahr die niedrigste seit 1974, die Neukredite des Bundes sinken auf 12,9 Milliarden Euro, in spätestens vier Jahren kommt er ohne neue Schulden aus. Trotzdem werden jährlich zwei Milliarden Euro mehr in so genannte Zukunftsbereiche gesteckt: Forschung und Entwicklung innere und äußere Sicherheit sowie Entwicklungshilfe.
Mit dieser Doppelstrategie aus Sanieren und Investieren versucht Steinbrück den Spagat zwischen den wachsenden Ausgabenwünschen seiner Ministerkollegen und der Konsolidierung seines mit 960 Milliarden Euro in den Miesen stehenden Kontos: Zwei Drittel der erwarteten Steuermehreinnahmen will er zur Senkung der Neuverschuldung verwenden, ein Drittel investieren.
Vielen Fachleuten, die auf die Details schauen, ist das aber nicht genug. So zeigt Heinz Gebhardt vom rheinisch-westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) prinzipiell Verständnis für Steinbrück: "In Zeiten knapper Kassen kann ein Minister Einsparungen leichter durchsetzen." Bei den Ausgaben hätte er aber einen schärferen Kurs setzen müssen. Statt zusätzliche Investitionen mit zusätzlichen Einnahmen zu bezahlen, hätte er an anderer Stelle in gleicher Höhe kürzen müssen. "Dem Haushaltsentwurf fehlt die qualitative Konsolidierung."
"Im Boom muss man Überschuss machen"
Insgesamt hat der Etat 2008 ein Volumen von 283,2 Milliarden Euro. Dabei legen die Ausgaben zum Vorjahr um 4,7 Prozent zu. Werden Sondereffekte wie der wieder aufgenommene Zuschuss zur Postbeamtenversorgungskasse herausgerechnet, bleibt noch ein Anstieg von knapp zwei Prozent. Für Gebhardt ist das zu viel: "Die Regierung handelt prozyklisch." Statt im Aufschwung die Zügel anzuziehen, stimuliert sie die Konjunktur zusätzlich durch Mehrausgaben. Auch Frank Zipfel von Deutsche Bank Research kritisiert: "So gut wie die Steuereinnahmen gelaufen sind, darf man eigentlich keine Kredite mehr aufnehmen - im Boom muss man einen Überschuss machen." In der Politik werden solche Einwände gerne mit dem Argument beiseite gewischt, so leicht denke es sich im Elfenbeinturm, in der Politik gälten aber andere Regeln.
Die Zahlen sprechen für sich: 43 Milliarden Euro gibt der Bund im kommenden Jahr für Zinsen und Tilgung seiner Schulden aus. Das sind 15 Prozent aller Ausgaben. Die Schuldentilgung und –dienst sind der zweitgrößte Posten nach dem Etat des Arbeitsministers. Für das Familien- und Jugendministerium werden gerade einmal zwei Prozent aufgewendet. Damit erklärt sich auch, warum Steinbrück so vehement gegen Steuersenkungen oder eine Abschaffung des Soli eintritt, bevor nicht mit dem Einstieg aus dem Schuldenabbau begonnen wurde.
Nach der nächsten Steuerschätzung im November wird der Bundestag abschließend über den Haushalt 2008 beraten. Dann werde die Debatte in der großen Koalition richtig schwierig werden, warnt ein SPD-Haushaltspolitiker. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Prognose für die Steuereinnahmen noch einmal um etliche Milliarden Euro nach oben korrigiert werden müssen: "Dann kommt der Sanierungskurs richtig unter Druck."
Von Matthias Sobolewski, Reuters
Quelle: ntv.de