Dossier

Nach Chavez' Niederlage Das Ende des Extremismus

Venezuela hat eine Art Reifeprüfung offenbar mit Bravour bestanden. Die Schlappe von Staatschef Hugo Chvez beim Referendum über eine sozialistische Verfassungsreform hat Erzrivalen nach jahrelanger Fehde überraschend schnell näher zusammenrücken lassen. "Ab sofort hören die Trennung und der Bruch in unserem Land auf", jubelte Oppositionsführer Leopoldo Lpez, Bürgermeister des Distrikts Chacao in der Hauptstadt Caracas. Chvez beglückwünschte derweil lächelnd die Sieger. Im Pulverfass Südamerikas gab es zwar Jubelfeuerwerk, aber keine Schüsse und Drohungen mehr.

Nach der Rückkehr zur Demokratie 1958 hatte es in Venezuela zunächst 40 Jahre lang eine Herrschaft zweier Eliteparteien gegeben, die die Armen grob vernachlässigten. Der Volksaufstand "Caracazo" deckte die Krise schon 1989 schonungslos auf, als Slumbewohner von den Hügeln rund um Caracas plündernd in das reiche Tal strömten. Ab 1999 drehte der autoritär auftretende Ex-Oberstleutnant und Slumheld Chvez den Spieß um. Nun fühlten sich die Reichen ausgegrenzt.

Das Referendum als Beginn der Versöhnung

"Unsere Gesellschaft ist total polarisiert, und das ist das Traurigste, weil das die historische Wunde der Ungleichheit offenlegt", klagte Verfassungsanwalt Jos Lpez vor dem Referendum. In den vergangenen Jahren gab es antidemokratische Übergriffe beider Seiten. Chvez Sicherheitskräfte gingen etwa sehr oft brutal gegen Demonstranten vor, und Teile der Opposition scheiterten ihrerseits mit einem Putschversuch im April 2002 nach 48 Stunden kläglich.

Das Referendum verspricht nun eine nationale Aussöhnung. "Es hat weder Sieger noch Verlierer gegeben", sagte versöhnlich der frühere Chvez-Verbündete und heutige Oppositionelle Raul Isaias Baduel, der die Verfassungsreform als Staatsstreich angeprangert hatte. Die Volksabstimmung sei ein Neubeginn und zeige, dass Einigkeit mit Meinungsverschiedenheiten möglich sei. Gegen Revanchismus und für Dialog sprach sich Kardinal Jorge Sabino aus, der zuletzt von Chvez heftig kritisiert worden war.

Ganz überraschend waren die Erklärungen von Studentenführer Stalin Gonzlez, der zusammen mit seinen Kommilitonen und anderen Oppositionellen bei Protestkundgebungen der vergangenen Wochen von Chvez-Anhängern und Polizisten verprügelt worden war. Er rief ebenso "wie Präsident Chvez" zum Dialog auf: "Wenn wir uns zusammensetzen, können wir ein neues Venezuela errichten und es schaffen, dass unser Land vorankommt", sagte er.

Die Studenten in Caracas und anderen Städten Venezuelas trugen mit ihrem friedlichen, aber entschiedenem Widerstand gegen die Reformen maßgeblich zur überraschenden Wende bei. Ihnen gelang das, was Traditionsparteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, die Kirche und selbst mächtige Medien nicht schafften. "Die Studenten sind heute der bei weitem glaubwürdigste Teil der Opposition, sie haben die Hoffnung der Gegner des Chvez-Autoritarismus neu geweckt", analysierte der Politikwissenschaftler Leandro Area.

Was die Zukunft bringen wird, ist indes ungewiss. Einige Beobachter bleiben trotz der unerwarteten Schönwetterlage nach jahrelangem Sturm skeptisch. "Die Studenten sind Chvez sehr ähnlich, sie haben keine politische Substanz, keinen Inhalt", ist der Politologe Miguel Angel Prez überzeugt. Der frühere Chvez-Weggefährte Teodoro Petkoff ist optimistischer. "Die Botschaft der Wähler beim Referendum ist: Wir haben die Spaltungen der Gesellschaft satt". Viele frühere Chvez-Verbündete würden nun eine gemäßigtere Opposition mit aufbauen.

Von Emilio Rappold, dpa

Quelle: ntv.de

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