Frauen in Afghanistan Das Land als großes Gefängnis
16.02.2007, 10:10 UhrManche sind so verzweifelt, dass sie in einen grausamen Tod flüchten. Selbstverbrennungen von Frauen hätten sich zuletzt gehäuft, berichtet die Ärztin und afghanische Politikerin Golalei Nur-Safi. Diese Frauen sähen im Selbstmord die einzige Chance, Unterdrückung und Gewalt zu entkommen. "Eine Frau, die überlebt hat, habe ich nach dem Warum gefragt. Sie sagte mir: 'Ich habe so lange gekämpft, jetzt wollte ich die ganze Familie mit dem Brand auslöschen'", sagt die Parlamentarierin. Golalei Nur-Safi, die nach Jahren im deutschen Exil in ihre Heimat zurückkehrte und den Wiederaufbau mitgestalten will, weiß viele solch trauriger Geschichten von Frauen in Afghanistan zu erzählen.
In einem Gespräch in Köln zeigt sich die 50-Jährige überzeugt, dass sich die furchtbare Situation nur mit ausländischer Hilfe bessern kann: "Ich wünsche mir vor allem, dass die internationalen Organisationen Afghanistan nicht im Stich lassen. Dass es nicht wieder so wird wie früher - von aller Welt vergessen." Mit dem Wiedererstarken der Rebellen im Vorjahr sei alles wieder schwieriger geworden. Insgesamt gesehen gehe es vielen Frauen heute besser als zu Zeiten der Taliban. "Aber jetzt hat sich die Sicherheitslage durch die Selbstmordattentate verschärft." Viele Mädchen, denen der Schulbesuch erst seit wenigen Jahren erlaubt ist, müssten nun wieder zu Hause bleiben. Und für relativ prominente moderne Frauen wie Nur-Safi ist die Gefahr durch Attentäter größer geworden: "Wir sind interessante Ziele."
Die dreifache Mutter, deren erwachsene Kinder in Deutschland blieben, hat seit ihrer Rückkehr nach dem Krieg viele positive Ansätze gesehen. Frauen seien mutiger und viele Kleider farbiger geworden. Vor ihrer Wahl ins Parlament half sie als Leiterin des Projekts "Ärztinnen der Hoffnung" der in Köln ansässigen Hilfsorganisation medica mondiale vielen traumatisierten Landsleuten. "Die Probleme der Frauen habe ich hautnah mitbekommen."
Als Politikerin fühlt sie sich mittlerweile oft machtlos. "Wir haben viele gute Gesetze. Aber es fehlt alles, um sie umzusetzen." Und: "Wir haben so viele negative Traditionen." So werde nach wie vor kaum etwas gegen Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen unternommen. Auf dem Land sei es Tradition, eine Tochter als Braut zur Versöhnung in eine verfeindete Familie zu geben. "Das ist ein Trauma für die Frau. Denn die Familie hasst sie." Zwangsverheiratung - auch von Kindern - sei "ganz normal" und offiziell nicht zu beweisen. "Es gibt kaum Registrierungen von Geburten und Eheschließungen."
Immer noch dürften viele Frauen und Mädchen nicht zum Arzt. Viele seien traumatisiert durch Krieg und Gewalt. Und manchmal sei dies den Frauen nicht einmal bewusst. So kümmerten sich Mütter traditionsgemäß oft besser um die Söhne.
Hunderte Selbstverbrennungen im Jahr
"Nach wie vor ist Afghanistan ein großes Gefängnis für Frauen", sagt Selmin Caliskan, die Referentin für Frauenrechte und Politik bei medica mondiale. Die Selbstverbrennungen von Hunderten von Frauen jährlich seien Ausdruck der Perspektivlosigkeit. "Selbstverbrennung ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren aufgekommen ist."
Frauen in Afghanistan seien bis heute in ein "sehr enges Korsett aus Traditionen" gepresst und aus weiten Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen, sagt UNICEF-Sprecher Rudi Tarneden. Nach Schätzungen der Organisation können nur 14 Prozent der Frauen lesen und schreiben. Mehr als die Hälfte der Mädchen werde vor dem 18. Lebensjahr verheiratet. Jeden Tag sterben nach UNICEF-Angaben rund 50 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt.
Golalei Nur-Safi will dennoch nach ihrem Besuch bei den Freunden in Deutschland wieder zurück nach Kabul und mithelfen, wo sie kann. Die Politikerin sieht auch Hoffnung und Dankbarkeit und sagt: "Jede Hilfe wird mit viel Liebe aufgenommen. Jedes Lächeln ist für die Leute die große Welt - als ob man ein Fenster zum Garten aufmacht."
(Andrea Wimmer, dpa)
Quelle: ntv.de