"Berliner Erklärung" Debatte über ein Geheimnis
22.03.2007, 16:10 UhrEs war in gewisser Weise eine Gespensterdebatte. Während die Staats- und Regierungschefs der EU in der Nacht zum Donnerstag die fertige "Berliner Erklärung" aus Berlin übermittelt bekamen, debattierte der Bundestag am Morgen über ein Dokument, das bis dahin nur die Regierungsspitze kannte. "Die Berliner Erklärung hat bereits eine erstaunliche Wirkung entfaltet, ohne dass es sie bislang überhaupt gibt", wunderte sich CDU-Europamann Michael Stübgen.
So geriet die Diskussion wenige Tage vor dem großen Berliner Geburtstagsfest zu 50 Jahren "Römische Verträge" zu einer Veranstaltung mit vielen, eher feierlich gestimmten Grundsatzreden. "Historisch", "die Erfolgsgeschichte der EU", die "Visionen der Gründerväter", die sich bewahrheitet hätten - es gab viele schöne Worte, aber wenig neue Substanz.
Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wollte mehr als einen "Grundtenor" der "Berliner Erklärung" nicht verraten. Dagegen benannte er klar die Akzeptanzkrise, in der die EU nach wie vor steckt und aus der sie die deutsche Ratspräsidentschaft herausholen will: "Für viele Menschen ist Europa Teil des Problems und nicht Teil der Lösung - das müssen wir ändern."
Die Berliner Erklärung soll nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dieser Neubegründung der EU beitragen. Die Versatzstücke, die von dem etwa zweiseitigen Dokument in Brüssel und Berlin kursierten, lassen keine völlig neuen Gedanken erwarten. Zentrale Aussagen des Papiers: Solidarität und Toleranz, die bisherigen Erfolge mit der Erweiterung samt Euro als Errungenschaft, der Ausbau des gemeinsamen Marktes mit sozialer Verantwortung sowie die angestrebte weltweite "Pionierrolle der EU" beim Klimaschutz.
"Man sollte den Erwartungshorizont nicht zu hoch stecken", warnen bereits diejenigen, die beratend an dem Text mitgewirkt haben. "Es wird nichts drin stehen, was nach dem Sonntag eine Belastung für den Verfassungsprozess darstellen könnte", sagte intern auch ein Regierungsmitglied. So galten die Bemühungen der letzten Stunden vor dem Berliner Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs auch nicht mehr dem Inhalt des Textes, sondern nur noch der letzten Seelenmassage bei denjenigen, die wie die Prager Regierung Probleme mit dem Abstimmungsmodus haben.
Das Verfahren - freie Hand für Berlin und Unterschriften durch EU-Rat, -Parlament und -Kommission - sei einvernehmlich vereinbart worden, berufen sich Berliner Regierungsvertreter auf die Abmachungen. Dass es bei der jetzt geäußerten Kritik an dem Verfahren eigentlich auch um den Verfassungsstreit geht, wird indes nicht verneint.
So wurde im Bundestag um den heißen Brei herum geredet, wenn es um konkrete Vorschläge für die Wiederbelebung des EU-Grundlagenvertrags ging, die seit den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 auf Eis liegt. Merkel griff selbst in die Debatte nicht ein. "Eine verpasste Chance", kritisierte die FDP-Abgeordnete Birgit Homburger. Die Kanzlerin will erst nach dem Berliner Gipfel die Lösung der Verfassungskrise konkret angehen.
So blieb dem sonst eher streitlustigen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle nicht viel anderes übrig, als dem Bundestag etwas Festlaune für das Wochenende zu wünschen: "Das ist ein Geburtstagsfest, das sollten wir auch so feiern!" Die Linksfraktion war dagegen am schnellsten. Noch bevor die richtige Berliner Erklärung bekannt war, veröffentlichte sie schon eine "Gegenerklärung".
(Frank Rafalski, dpa)
Quelle: ntv.de