Second Life Der Bluff 2.0
20.03.2007, 18:37 Uhrvon Stefan Kesselhut
Ob Medien, große Unternehmen oder normale Computernutzer; wer in den vergangenen Monaten nichts über das Online-Spiel "Second Life" gehört hat, muss einen gründlichen Winterschlaf gehalten haben. Von "Spiegel" bis "Zeit" wurden sie erklärt, die Regeln, Risiken und Luftschlösser der virtuellen Zweitwelt.
Erstaunliche Dinge waren zu lesen: Einige Menschen sollen ihre bisherigen Jobs an den Nagel gehängt haben und von jetzt an in Second Life ihr Geld verdienen, in "Linden-Dollars", die zu einem Kurs von 270 zu 1 in echte US-Dollar umgetauscht werden können. Die Spielerin Anshe Chung sei gar Millionärin geworden, indem sie in der Spielwelt einen regen Handel mit Grundstücken betrieb. In welcher Währung sie dieses Vermögen angesammelt hat, blieb unklar.
Unternehmen versprechen sich von Second Life ein gigantisches Marketingpotenzial: Der Axel-Springer-Verlag bringt eine virtuelle Boulevardzeitung heraus, die Nachrichtenagentur Reuters hat ein eigenes Büro und der Sportartikelhersteller Adidas stellt seine neuesten Sneaker in einem Shop vor.
Selbst die Politik dringt in das Spiel vor: Im Rahmen des Wahlkampfs in Frankreich wird nicht nur für die Kandidaten Royal und Sarkozy geworben, auch der rechtsradikale "Front National" geht auf Stimmenfang. Marketinginstrument, Geldmaschine die Zukunft des Internets, Second Life kann scheinbar alles zur gleichen Zeit sein. Zumindest wenn es nach den Medien geht. Und wieviel steckt dahinter?
Wer über Second Life nicht nur staunend gelesen, sondern das Programm auch einmal installiert hat, sieht sich schnell ernüchtert. Die Technik des Programms scheint unausgereift, häufige Abstürze sind die Regel. Wer im Spiel mehr erreichen will, als wohnungs- und ziellos durch eine Welt aus Pixeln zu stolpern, muss bezahlen für einen Premium-Zugang und vor allem eine Menge Geduld aufbringen. Mehrere Stunden pro Tag muss der Nutzer dann sein Grundstück und die Spielfigur betreuen, der wirtschaftliche Gegenwert bleibt dabei für die meisten Spieler eher gering. Second Life ist für die Mehrheit der Nutzer keine Maschine, die das Geld in großen Bündeln auswirft.
Wohl aber eine Maschine, die sich ideal dazu eignet, Zeit zu vernichten. Die Kreativität und Arbeitskraft, für die der Spieler im Second Life meist kaum mehr als einen US-Dollar pro Tag erhält, wäre im "richtigen" Leben besser angelegt. Zudem ist dort das Risiko geringer. Wenn nämlich Linden Labs, der in Kalifornien ansässige Betreiber von "Second Life", unerwartet Pleite geht oder es einen Anschlag auf die Serverfarm des Unternehmens gibt, dann könnte das im Spiel gebundene Kapital für immer verloren sein. Eine Haftung seitens Linden Labs besteht bis jetzt nicht.
Warum also so viel Zeit in eine Welt investieren, in der die Menschen auch nicht sympathischer sind, in der der Sex noch schlechter ist und in der man sich nur mit Hilfe der Pfeiltasten seines Computers umarmen kann. Die Auflösung des echten Lebens ist ohnehin unschlagbar, die Soundeffekte unerreicht.
Second Life ist ein Medienphänomen, und vielleicht profitiert es noch einige Monate von seiner Neuartigkeit. Ein System aber, dass soviel Aufwand erfordert, technisch nicht ausgereift ist und außer flirtenden Mitspielern nur wenig Gegenleistung bietet, wird für die User nicht lange interessant bleiben. Sie werden sich neueren, besseren Konzepten zuwenden. Oder in einen echten Park mit echten Bäumen gehen, statt Pixelblättern beim pixeln zuzuschauen.
Quelle: ntv.de