Dossier

Chaos im deutschen Stromnetz Der Flickenteppich bleibt

Auf 35.708 Kilometer Länge kommt das deutsche Hochspannungsnetz.

Auf 35.708 Kilometer Länge kommt das deutsche Hochspannungsnetz.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Vattenfall hat sein Stromnetz verkauft, eine zentrale Lösung im Ringen um ein effizientes Hochspannungsnetz in Deutschland ist damit voraussichtlich vom Tisch. Langfristig ist das für die Verbraucher eine schlechte Nachricht: Vier Fragen, vier Antworten.

Wem gehört das deutsche Stromnetz?

Das deutsche Hochspannungsnetz erinnert an einen Flickenteppich. Die vier großen Stromkonzerne haben ihn unter sich aufgeteilt: Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. Eon, der größte deutsche Stromerzeuger, hat sein Hochspannungsnetz bereits zum 31. Dezember 2009 an die niederländische Gesellschaft Tennet verkauft. Kaufpreis für das 11.000 Kilometer lange Netz: 1,1 Milliarden Euro.

Der schwedische Konzern Vattenfall - in Deutschland die Nummer vier - hat nun sein rund 9700 Kilometer langes Hochspannungsnetz im Osten und Norden Deutschlands abgestoßen. Vattenfall verkauft für 810 Millionen Euro an den belgischen Betreiber Elia und den australischen Investor Industry Funds Management (IFM).

RWE und EnBW lehnen einen Verkauf ihrer Netze ab.

Wer organisiert den Stromfluss?

Die Regelzonen der deutschen Netzbetreiber.

Die Regelzonen der deutschen Netzbetreiber.

(Foto: Wikipedia / Ice gixxe)

Bislang ist jeder Betreiber grundsätzlich nur für sein eigenes Netz zuständig. Das soll sich ändern, denn im viergeteilten Deutschland kann es dazu kommen, dass in einem Netz ein Überangebot besteht, während im Nachbarnetz eine Unterversorgung mit der vergleichsweise teuren Regelenergie ausgeglichen werden muss. Das ist hochgradig ineffizient.

Die Bundesnetzagentur wird dazu in den nächsten Wochen eine Entscheidung präsentieren. Auf dem Tisch liegen eine "kleine" und eine "große Lösung". Die große Lösung sieht eine deutsche Netz AG vor: einen zentralen Netzpegler, der Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage über die Grenzen der sogenannten Regelzonen hinaus koordiniert.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP zwar vereinbart, die deutschen Übertragungsnetze "in einer unabhängigen und kapitalmarktfähigen Netzgesellschaft zusammenzuführen". Doch die Bundesregierung will die Bildung einer Netz AG nicht anordnen oder gar mit Zwangsverkäufen durchsetzen. Geschehen ist daher nichts. Spätestens als Eon den Verkauf seines Netzes ankündigte, hätte die Bundesregierung aktiv werden müssen, sagt die grüne Sprecherin für Energiewirtschaft, Ingrid Nestle. Jetzt sei die Zusammenführung der Stromnetze viel schwerer.

Es wird also auf die kleine Lösung hinauslaufen. Die sieht einen Netzreglerverbund vor. Drei der vier deutschen Regelzonen sind bereits in einem solchen Verbund zusammengeschlossen - nur RWE spielt bislang nicht mit. Der Konzern strebt die Führung im deutschen Hochspannungsnetz an. Hans-Jürgen Brick, Co-Chef der RWE-Netztochter Amprion, sagte der "Financial Times Deutschland" im Januar, Ziel sei es, die Steuerung der Kraftwerksleistungen und Transportwege im RWE-Netz abzuwickeln.

Mit anderen Worten: RWE will Netzpegler sein. Laut Brick hätte ein solcher Schritt Effizienzgewinne in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro pro Jahr zur Folge - für alle Konzerne. Diese Größenordnung wird von Lichtblick bestätigt. Der Ökostromanbieter hatte 2008 die Debatte um eine Neuorganisation der Regelzonen mit einem Missbrauchsantrag bei der Bundesnetzagentur angestoßen. Wie RWE fordert Lichtblick einen zentralen Netzpegler. "Der Netzbetreiber sollte allerdings unabhängig von den Stromerzeugern sein", betont Lichtblick-Pressesprecher Ralph Kampwirth gegenüber n-tv.de.

Warum verkaufen die Stromerzeuger ihre Netze?

Die Abspaltung der Netze von der Stromerzeugung ist politisch gewollt. Die EU-Kommission erhofft sich dadurch eine Stärkung des Wettbewerbs. Zumindest soll den Stromerzeugern die Möglichkeit genommen werden, über erhöhte Netzentgelte Mitbewerber vom Markt fernzuhalten - eine Erfahrung, die auch Lichtblick in den ersten Jahren seines Bestehens machen durfte.

Tuomo Hatakka

Tuomo Hatakka

(Foto: REUTERS)

Eon beendete mit dem Netzverkauf einen langjährigen Kartellstreit mit Brüssel. Für Vattenfall gilt das nicht. Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka betonte, das Unternehmen sei zu dem Verkauf nicht gezwungen gewesen. Letztlich sei es eine strategische Entscheidung gewesen. "Es gehört zu einem guten Markt, dass man Netze von Erzeugung trennt."

Diese "strategische Entscheidung" mache Vattenfall für andere Marktgebiete freier, sagt ein Branchenkenner n-tv.de. Eine Rolle dürften auch künftige Kosten gespielt haben. Die Regelzonen von Vattenfall und Eon liegen an der Küste, für beide Konzerne stehen wegen des Ausbaus der Offshore-Windstromerzeugung hohe Investitionen an. Dazu kommt die Beteiligung am Bau des künftigen Nordseenetzes, die Vattenfall mit dem Netzverkauf an den belgischen Betreiber Elia abgibt.

Elia plant nun "ein Netz für ganz Europa". Die gesetzlich garantierten Renditen im deutschen Anreizregulierungssystem, auf die Vattenfall verzichtet, kommen dem belgischen Unternehmen zweifellos sehr gelegen.

Welche Auswirkungen haben Netzverkäufe auf die Strompreise?

Hier sind die meisten Experten einig: Der Verkauf des Vattenfall-Netzes dürfte den Strompreis kurz- und mittelfristig nicht beeinflussen. Vattenfall selbst erklärt: "Die Transaktion wird keine Auswirkungen auf die Übertragungstarife für Endverbraucher haben". Allein der Verkauf der Hochspannungsnetze macht eben keinen großen Unterschied: Es kommt auf die Effizienz der Kooperation unter den Netzbetreibern an.

Da die einheitliche Regelzone - die "große Lösung" - aller Voraussicht nach nicht kommen wird, befürchtet Nestle, "dass die Verbraucher auch künftig überteuerte Netzregelungskosten bezahlen müssen". In einem Netzreglerverbund - der "kleinen Lösung" - wäre es auch Sicht der kleineren Stromerzeuger sinnvoll, den Netzbetrieb und das Interesse am Stromverkauf zu trennen. "Sinken wird der Strompreis nur, wenn wir es schaffen, alle Ineffizienzen aus dem Netz zu bekommen", sagt Lichtblick-Sprecher Kampwirth. Er schränkt jedoch ein, dass die Netzentgelte nur ein Baustein unter vielen im Strompreis sind.

Das bestätigt Rainer Warnecke von der Bundesnetzagentur. Der Anteil des Netzentgelts am Endpreis für Haushaltskunden habe am 1. April 2009 lediglich 25 Prozent betragen. Zum Vergleich: Energiebeschaffung und -vertrieb waren für 37,6 Prozent des Preises verantwortlich.

Quelle: ntv.de

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