Dossier

US-Wahlnotizen II Der Präsident ist da

Seit über einer Stunde schon stehen sich die Unterstützer die Beine in den Bauch. Es ist frostig, windig, ungemütlich. Doch alle halten wacker durch. "Der war schon immer spät", heißt es, und "ihm" verzeiht man die notorische Unpünktlichkeit offenbar gern. Immerhin: "Der Präsident" hat sich angekündigt. Er ist zwar nur ein Ex, aber einer, den die Menschen im Lande mit acht Jahren Wohlstand, Aufstieg und einer gewissen Sorglosigkeit assoziieren. Bill Clintons Affären gelten in diesem Zusammenhang als interessantes Beiwerk. Kein Grund zur Aufregung mehr, jetzt, fast acht Jahre nach seinem Abschied aus dem Weißen Haus.

Als er endlich vorgefahren wird, im schwarzen Geländewagen, flankiert von Sicherheitsbeamten, ist es fast so wie früher. Shakehands hier, ein Autogramm da, ein Foto mit der ganzen Familie. Das Programm, Schlendern durch die Innenstadt, gerät zu einem Stop-and-go auf dem Bürgersteig. Man könnte auch Stau sagen: Immer mehr Menschen wollen Hände schütteln, Bücher signieren lassen oder einfach nur Hallo sagen. Gesetzte Herren schieben ihre jungen Mitarbeiterinnen nach vorne für ein Foto mit Bill. Alle lächeln.

Die Szene aus Keene, New Hampshire, wiederholt sich seit Wochen so oder ähnlich in weiten Teilen der USA. Der einzige Unterschied: Während im hohen Norden nur zwei Kamerateams auf den ehemaligen Präsidenten warteten, sind es inzwischen gut ein Dutzend. Clinton ist in seinem Element. Der Hillary-Sticker haftet gut sichtbar an seinem Jacket, aber eigentlich geht es nur um ihn. "Meine Position dazu ist einfach... Als ich Jura studiert habe... Als ich Präsident war... Als ich Gouverneur war von Arkansas... Als ich das Schulprogramm gestartet habe... Ich habe den Gouverneur von South Carolina zum Bildungsminister ernannt... Ich fahre einen Mercury-Mini-Geländewagen..." Genau so zitiert ihn die "Washington Post". Aus einer einzigen Veranstaltung in South Carolina.

In South Carolina muss Obama siegen

Genau dort wird auch als nächstes gewählt. Gattin Hillary kann es sich leisten, die großen Staaten anzusteuern, die am sogenannten Super Tuesday die Entscheidung bringen könnten, da Ehemann Bill zeitgleich durch den tiefen Süden tourt. In Umfragen liegt Barack Obama dort zweistellig in Front, doch das mag wenig heißen. Erstens geht es in South Carolina nur um vergleichsweise wenige Delegiertenstimmen, und zweitens werden die Umfragen nach dem Prognosedesaster von New Hampshire nicht mehr als unumstößlich angesehen. Alles scheint möglich. "Ich habe in South Carolina gewonnen", erinnert sich Bill.

Der Vergleich im sogenannten Bibel-Gürtel der USA ist für Barack Obama die letzte Chance, die Stimmung wieder herumzureißen und den Clinton-Clan vielleicht doch noch zu stoppen. Ein klarer Sieg hier, und es stände wieder 2:2. Nach seinem Auftaktsieg von Iowa und den beiden Niederlagen von New Hampshire und Nevada. Dann könnte es am Super Tuesday, wenn die Demokraten in insgesamt 22 Staaten abstimmen lassen, wieder spannend werden.

Bill hat sich vorgenommen, genau das zu verhindern. Er geht zum Angriff über. Obamas dauerhafte Opposition gegen den Irak-Krieg hat er als "Märchen" gegeißelt, dessen Bemerkungen über Reagan ("ein Versöhner") als Vorlage genutzt, Obama als "Bewunderer der Republikaner" darzustellen. Clinton scheint unbeirrbar: "Nichts von dem, was ich gesagt habe, ist falsch."

Bill ist für die Tiefschläge zuständig

Dass er, in Abwesenheit, zum Gegenstand des letzten Schlagabtauschs der Kandidaten auf CNN wurde, nötigt ihm nur einen Kalauer ab. "Das ist ein wenig ungewohnt für mich", witzelt er, "ich bin etwas aus der Übung." Tatsächlich führt die Arbeitsteilung der Clintons Obama in ein Dilemma. Hillary hält sich möglichst zurück, für die Tiefschläge ist Bill zuständig, doch den bekommt Obama nur schwer zu fassen. Stattdessen muss er die ehemalige First Lady attackieren, wenn er den Ex-Präsidenten meint. Oder gleich beide. "Es ist riskant, sich mit jemanden anzulegen, der noch immer Zustimmungswerte von über 50 Prozent genießt", werden Obamas Berater zitiert. "Doch wir haben keine andere Wahl."

Die Strategie der Clintons scheint aufzugehen. Sie gilt wieder als Favoritin im Rennen um die demokratische Kandidatur. Doch zu einem hohen Preis. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem das Weiße Haus leicht zu erobern schien, stehen die Demokraten zerstritten da wie selten. Schon fürchten manche, dass, im Falle einer Clinton-Kandidatur, die enttäuschten und verprellten Obama-Anhänger im November massenhaft daheim bleiben könnten. "Bill Clinton hat einen bedenklichen Weg eingeschlagen", so Lawrence Korb vom Center for American Progress gegenüber n-tv, "den George H.W. Bush nie gegangen ist. Und der hätte allen Grund dazu gehabt." Während sich der Vater des amtierenden Präsidenten aus dem Wahlkampfgetümmel stets herausgehalten habe, bewege sich der Nachfolger auf gefährlichem Terrain. "Wenn das nicht bald aufhört", warnt Tom Daschle, ehemals Fraktionsführer der Demokraten im Senat, "beschädigt Bill Clinton nicht nur sich, sondern die gesamte Partei." Und schmälere damit letztlich die Wahlchancen seiner Frau.

Die Gattin muss getragen werden

Schon wird in Washington auf die mangelnde Disziplin und die Tendenz zur Selbstzerstörung der Demokraten hingewiesen. Bisher habe sich die Partei zuverlässig immer dann selbst zerlegt, wenn es niemand für möglich gehalten habe. Zudem wird mit einer gewissen Ironie kommentiert, dass die Frau, die als erste das Präsidentenamt erobern wolle, ausgerechnet von ihrem Ehemann über die Ziellinie bugsiert werden müsse. Bill Clinton solle sich im Sinne der Sache lieber zurückhalten - und dem Beispiel Jimmy Carters folgen. Der sei zwar kein guter Präsident gewesen, heute aber einer der besten Ex-Präsidenten aller Zeiten.

Der eleganteste Ausweg aus der misslichen Lage wäre nach Ansicht von Beobachtern ein Ticket Clinton/Obama. Also mit Hillary als Präsidentschaftskandidatin und Barack als Anwärter auf den Vizeposten. Doch diese Variante scheint nach den jüngsten Scharmützeln höchst unwahrscheinlich. Zumal es schon eine Art Vizepräsidentschaftskandidaten gibt: nämlich Bill. Und wer will dahinter schon die Nummer 3 abgeben? Der Trost für Obama: Er, 46, kann warten. Hillary, 60, nicht.

Erklärendes, Analysierendes, Kurioses, Überraschendes, Faszinierendes und Humorvolles: Christian Wilp, n-tv Washington-Korrespondent, beobachtet für n-tv.de den US-Wahlkampf 2008.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen