Dossier

Aufregung um Notstand Derweil stranden Hunderte

Das Reizwort vom nationalen Notstand löste helle Aufregung aus. Von Panikmache und Polizeistaat war die Rede, als die Weichenstellung der konservativen Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi publik gemacht wurde: Angesichts der ungeheuren Welle illegaler Einwanderer vom anderen Ufer des Mittelmeeres will Berlusconi in allen Teilen Italiens neue Aufnahmelager einrichten lassen und das mit der Ausrufung des nationalen Notstandes beschleunigen.

Nur kurz nach dem von der Regierung durchs Parlament gebrachten neuen "Sicherheitspaket" gegen Kriminalität und illegale Einwanderung befürchtet die linke Opposition das Schlimmste - was Berlusconi da forciere, sei nur "verabscheuungswürdige" Propaganda und solle Angst schüren. Sogar der Vatikan schaltete sich ein und mahnte Rom, auch im Notstand wegen der Flüchtlingswelle "die Menschenrechte einzuhalten".

Trauriger Alltag an süditalienischen Küsten

Zwar hatte sich Innenminister Roberto Maroni von der rechtspopulistischen Lega Nord einige Argumente zurechtgelegt, die den Notstand begründen und dem politischen Gegner den Wind aus den Segeln nehmen sollten. Das beste Argument lieferte ihm allerdings der traurige Alltag an den süditalienischen Küsten selbst. Denn auch an diesem Wochenende, an dem Millionen Italiener in die Ferien fuhren, kamen wieder Hunderte von Einwanderern in Booten auf Lampedusa oder auf Sardinien an. Zwei Kleinkinder waren entkräftet auf der Überfahrt gestorben. Vereinbarungen mit Libyen, die einen Damm gegen die schier endlose Menschenwelle gen Norden bilden sollen, sind eben immer noch nicht ganz soweit. Maroni: "Dann bekommen wir das in den Griff."

"Im ersten Halbjahr 2008 hat sich die Zahl der angekommenen Einwanderer im Vergleich zur Vorjahresperiode verdoppelt", hatte der Minister nüchtern erklärt - von 5378 auf 10611. Dass die Regierung über etliche Stunden zwar ein Dekret nur angekündigt, es aber nicht genauer erläutert hatte, wirkte wie ein Bumerang. Entnervt ging der Innenminister daran, der Opposition etwas in Erinnerung zu bringen: Ein landesweiter Notstand wegen der Flut illegaler Einwanderer war erstmals vor sechs Jahren - auch von Berlusconi - ausgerufen worden.

Notstand auch unter Prodi verlängert

Die Immigration riss kaum ab, und der Notstand wurde Jahr für Jahr verlängert, auch von Romani Prodis Mitte-Links-Regierung. Im Februar 2008 hatte Prodi, gerade noch im Amt, den Notstand dann auf die am stärksten betroffenen Südregionen Apulien, Kalabrien sowie Sizilien beschränkt. Berlusconi weitet ihn jetzt wieder auf ganz Italien aus.

"Viel Lärm um Nichts" oder "Panikmache"? Diese Regierung, gerade mal drei Monate im Amt, betreibe permanenten Wahlkampf, um von ihrer inneren Zerstrittenheit "und der Untätigkeit bei wirklichen Problemen der Leute abzulenken", attackierte jedenfalls Massimo Donadi von der liberalen Partei "Italien der Werte". Berlusconis Fraktionschef im Senat, Maurizio Gasparri, konterte so: "All die Vertreter der Linken, die die Regierung beleidigt haben, sollten sofort um Entschuldigung bitten." Die Linke hat nach dem komfortablen Wahlsieg Berlusconis im April jetzt allerdings einen Hebel gefunden. Sie wartet nur darauf, dass sich der Innenminister am Dienstag dem Parlament stellt.

Bleibt das Leiden der Zehntausenden Bootsflüchtlinge, die Jahr für Jahr ihr Heil in Europa suchen. Der Innenminister muss etwa 600 Millionen Euro aufbringen, um die Zahl der Aufnahmelager auf 20 - eines in jeder Region - zu verdoppeln. Wie schnell die Ausrufung des Notstands die Finanzierung nun beschleunigen kann, bleibt abzuwarten. Zusammen mit dem Verteidigungsministerium wird geprüft, ob Kasernen dafür dienen könnten. Die Lager heißen "Zentrum der Identifizierung und Ausweisung". Berlusconi hat den Einwanderern - etwa 650.000 leben im Land - den Kampf angesagt: Wer illegal kommt, kann dafür bestraft und wer kriminell wird leichter abgeschoben werden.

Quelle: ntv.de, Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

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