Präsidentschaftswahl in Afghanistan Die Herausforderer: Abdullah und Ghani
16.08.2009, 12:31 Uhr
Ashraf Ghani befürchtet somalische Zustände, sollte Karsai an der Macht bleiben.
(Foto: dpa)
Es war ein Novum für Afghanistan: In einer ersten Fernsehdebatte standen sich vor kurzem die beiden wichtigsten Herausforderer von Präsident Hamid Karsai bei der Wahl am 20. August gegenüber. Abdullah Abdullah, der Kandidat der Nordallianz, die Ende 2001 mit Unterstützung der US-geführten Koalition das Taliban-Regime stürzte, trat gegen den Wissenschaftler und früheren Kanzler der Universität Kabul, Ashraf Ghani, an. Das mittlere Stehpult blieb frei: Karsai stellte sich seinen Konkurrenten nicht.
Abdullah und Ghani kennen den Präsidenten gut. Beide dienten nach dem Sturz der Taliban in seinem Kabinett. Der promovierte Augenarzt Abdullah war bis 2006 Außenminister. Ghani, der zuvor elf Jahre lang bei der Weltbank gearbeitet hatte, war bis 2004 Finanzminister der Übergangsregierung. Abdullah werden die besseren Chancen vorhergesagt, bei der anstehenden Wahl zumindest den zweiten Platz hinter dem Favoriten Karsai und vor Ghani zu belegen. In einer Umfrage hat auch der frühere Planungsminister Ramasan Baschardost zugelegt. Die anderen der ingesamt noch 36 Kandidaten - darunter zwei Frauen - gelten als Außenseiter ohne große Erfolgsaussichten.
Wahlkampf mit einem Toten
Abdullah setzt im Wahlkampf auch auf einen Toten und dessen Popularität vor allem bei Nicht-Paschtunen: Immer wieder betont er seine Verbindung zum militärischen Führer der Nordallianz, dem Nationalhelden Ahmad Schah Massoud, den Al-Kaida-Attentäter kurz vor den Anschlägen vom 11. September 2001 ermordeten. Ein "Langzeit-Berater" und "enger Begleiter" Massouds sei Abdullah gewesen, heißt es auf der Homepage des Kandidaten.

Abdulla Abdullah bemängelt eine schlechte Regierungsführung durch Karsai, die die gegenwärtige Krise maßgeblich mitverursacht hätten.
(Foto: dpa)
Abdullah engagierte sich in den 80er Jahren im Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer seiner Heimat. In dieser Zeit lernte er Massoud kennen, der später mit der Nordallianz erbitterten Widerstand gegen die Taliban leistete, die aus den Paschtunen im Süden des Landes hervorgegangen waren. Bei der größten afghanischen Bevölkerungsgruppe will der 1960 in der südafghanischen Provinz und späteren Taliban-Hochburg Kandahar geborene Abdullah mit seinem paschtunischen Vater punkten - und damit Karsai Konkurrenz machen, der ebenfalls auf Paschtunen-Stimmen baut.
Intellektueller statt Vollblut-Politiker
Ein Paschtune ist auch Ghani, der 1949 in Logar südlich von Kabul geboren wurde. Anders als Abdullah und Karsai kann er keine Vergangenheit im Widerstand vorweisen. Er studierte Anthropologie in New York, als die Rote Armee 1979 einmarschierte, und blieb im Exil, bis die Taliban stürzten. Ghani promovierte, lehrte an amerikanischen Universitäten und machte in der Weltbank Karriere. Nach dem Sturz der Taliban ging er zunächst für die Vereinten Nationen nach Afghanistan zurück, bevor er Teil der Übergangsregierung wurde. Nach der Wahl 2004 kehrte er nicht mehr ins Kabinett zurück, sondern wurde Kanzler der Universität Kabul.
Kaum verwunderlich angesichts des Werdeganges, dass Ghani eher wie ein Intellektueller denn wie ein Vollblut-Politiker wirkt. "Als er seinen Zehnjahresplan für das Land erläuterte - wirtschaftliche Entwicklung, Frauenrechte, Armutslinderung -, war das weniger eine Kampagnen-, als vielmehr eine geschliffene Seminar-Präsentation", schrieb die "Los Angeles Times". Ghani versucht, gegen dieses Image anzugehen und sich auch als Mann des Volkes zu präsentieren. "Ich fühle mich im ländlichen Afghanistan sehr wohl", betont er.
Ghani mit detailliertestem Programm
Weltgewandt ist Ghani, der 2006 als möglicher UN-Generalsekretär gehandelt worden war, ebenso wie Abdullah. Beide sprechen fließend Englisch. Anders als seine Konkurrenten aber kann Ghani, der sich als Finanzminister international einen Namen als Reformer machte, auf keine große Stammwählerschaft zurückgreifen. Diesem Mangel versucht er, mit dem detailliertesten Wahlprogramm der drei wichtigsten Kandidaten zu begegnen. Das Einkommen auf dem Land will Ghani vervierfachen, er verspricht eine Million neue Jobs. Das umstrittene Gefängnis auf dem US-Stützpunkt Bagram soll binnen drei Jahren geschlossen werden. Abdullah schlägt vor allem einen Wechsel vom Präsidial- hin zu einem parlamentarischen System vor. Ansonsten bleiben seine - wie auch Karsais - Wahlversprechen meist vage.
Einen sofortigen Abzug der ausländischen Truppen - wie von den Taliban verlangt - wollen weder Ghani noch Abdullah. Einig sind sich die beiden Kandidaten auch in einem weiteren Punkt: Ihrer Kritik an der Arbeit ihres ehemaligen Chefs. "Unter Präsident Karsais Regierung gedeiht die Korruption", beklagt Abdullah. Das "Versagen" der Regierung sei für den Vertrauensverlust im Volk und das Erstarken der Aufständischen verantwortlich. "Schlechte Regierungsführung hat eher zur gegenwärtigen Krise geführt als die Stärke der Taliban-Aktivitäten." Ghani sagt über Karsai: "Das ist nicht der Mann, den ich kannte. Der Mann, den ich kannte, hatte unglaublichen Respekt vor Regeln. Diesen Mann verstehe ich nicht." Sollte Karsai an der Macht bleiben, "dann werden wir zu (einem Land wie) Somalia werden".
Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa