Vor 50 Jahren Die Iller-Katastrophe
30.05.2007, 10:18 UhrVor 50 Jahren erschütterte die Iller-Katastrophe die noch junge Bundesrepublik. Am 3. Juni 1957 ertranken bei einer Bundeswehrübung bei Kempten in Bayern 15 Rekruten. Der letzte Leichnam wurde erst nach 16 Tagen an einem Reusenwehr gefunden. Der tote Soldat trug noch seinen Stahlhelm. Deutschland war fassungslos. Trotz eines Verbots von höchster Stelle hatte ein Stabsunteroffizier seinen Rekruten den Befehl gegeben, in voller Montur mit Stahlhelm und Karabiner die Hochwasser führende Iller zu durchqueren - mit schrecklichen Folgen.
"Wir waren am Morgen des 3. Juni erst zehn Kilometer aus der Prinz-Franz-Kaserne in Kempten Richtung Iller marschiert", erinnert sich Otto-Ludwig Gewinner, ein Zeitzeuge der Katastrophe. "Am 1. April waren wir mit 19 Jahren eingezogen worden. Unsere Kompanie war damals schlecht ausgerüstet, von Anfang an herrschte Unzufriedenheit wegen der Mängel", erzählt der heute 70-Jährige. "Wir hatten noch gar keine Erkennungsmarken, deshalb war dann auch die Identifizierung der Toten so schwer."
Mit vier Zügen marschierte die Kompanie zum Fluss. Um 10.30 hatte der 4. Zug mit etwa 30 Mann seine Übungen beendet, als der Befehl kam: "Wir gehen jetzt einmal durch die Iller." So berichtete es der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) später im Bundestag. Auf die Frage eines Soldaten, ob der Befehl auch für Nichtschwimmer gelte, antwortete der Stabsunteroffizier, erst einmal sollten alle gehen. Wenn es zu schwierig werde, könne jedermann umkehren. Der Vorgesetzte unterschätzte die Iller.
Der Stabsunteroffizier stieg als erster in den kalten Fluss, die Soldaten folgten in dichten Reihen. Plötzlich verloren sie auf dem glitschigen Untergrund den Halt, die starke Strömung riss die Männer mit, einzelne konnten sich an einen Brückenpfeiler klammern und wurden gerettet. 15 Kameraden wurden abgetrieben und ertranken.
"Am nächsten Tag waren in meinem Zimmer vier Betten frei", schildert Gewinner die Situation. "Wir waren geschockt." Unter den Toten war auch ein Rettungsschwimmer. Nach dem Unglück setzte eine Debatte ein, ob die Soldaten den Befehl zur Überquerung hätten verweigern sollen. "Wir waren doch alle minderjährig, die Ausbilder waren für uns Elternersatz", sagt Gewinner.
Der Stabsunteroffizier wurde später zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, ein weiterer verantwortlicher Stabsunteroffizier und ein Oberleutnant frei gesprochen. "Über diese milden Urteile waren wir mehr als enttäuscht", sagt Gewinner. Strauß führte damals im Bundestag aus: "Die Tragik des furchtbaren Problems lag darin, dass die Soldaten mit Scherzworten und spöttischen Zurufen in das Wasser gegangen sind, weil sie das Ganze zum Abschluss der Übung noch für eine interessante Einlage gehalten hatten. Das Verbot des Übergangs war den Soldaten nicht bekannt gemacht worden."
Am Jahrestag der Katastrophe wird der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, in Kempten einen Kranz niederlegen und der Toten gedenken. "Darauf könnte ich gern verzichten, wenn ich meine Kameraden wieder haben könnte", meint Gewinner bitter.
(Nikolaus Dominik, dpa)
Quelle: ntv.de