Breitseite gegen Michael Moore Doku-Lügen entlarvt
10.05.2007, 11:32 UhrDer Dokumentarfilm "Manufacturing Dissent" erregt Aufsehen. Die kanadisch-australische Produktion von Debbie Melnyk und Rick Caine porträtiert Oscarpreisträger Michael Moore und entlarvt äußerst zweifelhafte Arbeitsmethoden. Nun stehen auch Moores Filme "Fahrenheit 9/11" (2004), "Bowling for Columbine" (2002) oder "Roger & Me" (1989) in einem anderen Licht da - eine filmische Ohrfeige für den Doku-Star und Propagandisten. Im Interview mit n-tv.de sprechen Melnyk und Caine über ihren Film, Michael Moore und die Interpretation der Wahrheit.
n-tv.de: Was hat Sie bewogen "Manufacturing Dissent" zu machen?
Melnyk: Wir hatten 2004 gerade einen Film über einen Konservativen gedreht, dessen Meinung wir in keiner Weise vertreten konnten. Danach wollten wir einen Film über jemanden machen, dessen Überzeugungen wir teilten. Michael Moore lag auf unserer Linie und war interessant. Sein Film "Fahrenheit 9/11" kam gerade in die Kinos, er war auf dem Höhepunkt seiner Karriere und als Aktivist im Wahlkampf in den USA unterwegs.
Wann begann das Bild des Helden Michael Moore für Sie zu bröckeln?
Melnyk: Wir leben in Toronto, vier Autostunden weit entfernt von Flint in Michigan, wo Michael Moore geboren und aufgewachsen ist. Wir fuhren in den zweieinhalb Jahren viele Male nach Flint und hatten erwartet, dass er in seiner Heimatstadt als Held gefeiert würde. Doch wir wurden überrascht: Viele mochten ihn überhaupt nicht. Wir erfuhren, dass er für seinen Erfolgsfilm "Roger & Me" eine Szene schlichtweg erfunden hatte. Eine Kamerafrau berichtete, wie er Menschen, die ihre Häuser räumen mussten, aufstachelte, wütender zu sein und zu weinen. Eine andere Frau hatte zufällig einen Dreh zu "Fahrenheit 9/11" in Washington miterlebt und sich gewundert, dass Michael Moore einer Zeugin Anweisungen gab: "Jetzt musst du wütender sein, jetzt musst du seufzen..."
Ist es denn problematisch, die Wirklichkeit für die Leinwand ein bisschen aufzupeppen?
Caine: Wenn sich niemand um die Fakten kümmern würde, wären alle unsere Geschichten unglaubwürdig. Dabei ist es gar nicht nötig, Fakten zu erfinden. In "Bowling for Columbine" wollte Michael Moore beweisen, dass sich die Menschen in Kanada sicher fühlen und deshalb ihre Türen nicht abschließen. Bei einer willkürlichen Stichprobe vor der Kamera zeigte sich, dass in einer Straße in Toronto tatsächlich 40 Prozent der Haustüren unverschlossen waren. Im Film korrigierte er die Zahl dann aber auf annähernd 100 Prozent. Dabei war doch schon überraschend, dass fast jede zweite Haustür in der Straße nicht abgeschlossen war.
Sie teilen Moores politische Ansichten und Überzeugungen. Aber Sie glauben nicht, dass der Zweck die Mittel heiligt.
Melnyk: Nein, du kannst nicht George Bushs Taktiken übernehmen und wie die CIA und das Militär operieren. Dann bist du nicht besser als deine Gegner. Außerdem kann eine durch Lügen untermauerte Botschaft schnell nach hinten losgehen und den Gegnern als Munition dienen. Natürlich sind filmische Dokumentationen immer subjektiv, manipulativ und zusammengeschnitten. Aber Fiktives gehört nicht in einen nicht-fiktionalen Film. Eine Botschaft lässt sich auch auf ehrlichem Wege interessant und witzig vermitteln.
Ist Moores Botschaft unglaubwürdig geworden?
Caine: Man muss weder Michael Moores Filmen glauben noch an Michael Moore selbst, um einen linken Standpunkt zu vertreten.
Aber haben Michael Moores Methoden nicht das Ansehen des Genres "Dokumentarfilm" beschädigt?
Caine: Es gibt eine stille Übereinkunft zwischen Publikum und Dokumentarfilmer. Das Publikum hat das Recht auf eine wahrheitsgemäße Darstellung und muss dieses Recht einfordern können. Ich glaube, die Zuschauer würden Michael Moore seine Arbeitsweise nicht einmal übel nehmen, wenn sie davon wüssten. Doch sie können sich kein Urteil bilden, weil er sie nicht einweiht.
Eröffnen Moores Arbeitsmethoden neue Wege oder nehmen sie dem Dokumentarfilm den Wind aus den Segeln?
Caine: Michael Moore ist eine wichtige linke Stimme in den USA. Aber seine Filme haben in der Dokumentarfilmindustrie Erwartungen und den unglaublichen Druck aufgebaut, alle müssten nun ebenso verrückte, unterhaltsame und witzige Filme wie er produzieren. Wir trafen junge kanadische Filmemacher, die uns von Treffen mit Produzenten erzählten, in denen sie zu hören bekamen: "Tolle Idee, aber warum machst du nicht eine Art Michael-Moore-Film daraus?"
Haben Sie nie geschummelt?
Melnyk: Wir haben uns für einen Dreh falsche Visitenkarten gedruckt. Wir waren dazu gezwungen, nachdem Moores Leute uns im Laufe der Dreharbeiten mit immer mehr Restriktionen begegneten. Eines Tages wollten sie uns plötzlich den Zugang zu einer Veranstaltung verwehren, wenn wir keine Firmenkarten vorweisen könnten. Wir hatten keine, also mussten wir schnell welche organisieren. Aber das lassen wir die Zuschauer im Film auch wissen.
Wie hat Michael Moore auf den Film reagiert?
Melnyk: Er behauptet, ihn nicht zu kennen, obwohl wir ihn mit Kameras auf seiner Tour begleitetet haben. Als er von einem Reporter auf "Manufacturing Dissent" angesprochen wurde, fragte er, ob der Reporter nicht Noam Chomskys "Manufacturing Consent" meine.
Also eine Art "Manufacturing Ignorance"?
Melnyk: Ja, die Vertreter seiner Produktionsfirma haben unseren Film sogar gesehen und unseren Verleih angerufen, um zu hören wie es läuft.
Und wie läuft es, wie wurde der Film vom Publikum aufgenommen?
Melnyk: In Europa und Kanada waren die Zuschauer sehr diskutierfreudig, in den USA eher weniger. Dort will die Linke nichts Schlechtes über ihren wichtigen Anführer hören. In Deutschland hatten wir zwei Filmvorführungen beim Dokfest in München vor voll besetztem Haus. Sogar in der U-Bahn haben uns Zuschauer angesprochen: "Wir mögen euren Film, aber wir mögen auch Moores oppositionelle Stimme in den USA." Wir sind ja auch froh über seine Stimme, aber wir wünschten, sie wäre ehrlicher.
(Die Fragen stellte Nona Schulte-Römer)
Quelle: ntv.de