"Auffällige Unauffälligkeit" Ein Jahr SPD-Alleinregierung in Mainz
15.05.2007, 17:10 UhrSeit rund einem Jahr regieren die Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz ohne die Liberalen - und kaum einer nimmt dies dort wahr. "Der Wechsel von einer SPD/FDP-Koalition zur SPD-Alleinregierung ist gar nicht so zu bemerken", urteilt der Landauer Politologieprofessor Ulrich Sarcinelli. Der eher wirtschaftsfreundliche als entschieden sozialdemokratische Kurs sei auch Taktik in einem Bundesland, das auf Kommunal- und Bundesebene mehrheitlich konservativ wähle. Am 30. Mai 2006 hatte Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) seine Regierungserklärung abgegeben - seitdem führt er Rheinland-Pfalz Sarcinellis Worten zufolge mit einer "auffälligen Unauffälligkeit".
Als Stärke der Regierung gilt die Schwäche der Opposition: Die schon bei mehreren Landtagswahlen gescheiterte CDU scheint sich immer noch mit dem Zuschütten ihrer eigenen Gräben beschäftigen -von einer echten programmatischen Neuprofilierung ist vorerst wenig zu sehen. Auf der Oppositionsbank im Mainzer Landtag gilt bislang nicht CDU-Landes- und -Fraktionschef Christian Baldauf (39), sondern der Vorsitzende der kleineren FDP-Fraktion, Herbert Mertin (49), als gewichtigster Gegenspieler von Beck.
Dennoch stößt die Freude der Genossen im Land an enge Grenzen: Beck agiert seit einem Jahr auch als SPD-Bundesvorsitzender auf der Berliner Bühne -und erntet im dortigen rauen Politbetrieb mittlerweile weitaus mehr Kritik als im heimeligen Rheinland-Pfalz. Der 58-Jährige will, so hat er es signalisiert, Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2009 werden. Kein Wunder, dass Becks Spagat zwischen Rhein und Spree bei der rheinland-pfälzischen Opposition die Frage nach einer möglichen Überforderung laut werden lässt. "Er ist nicht mehr so oft in Mainz, weil er in Berlin zu rudern hat wie ein Weltmeister", unkt Baldauf.
Wie auch immer -Beck ist es gelungen, trotz seiner Kanzlerträume eine laute Nachfolgedebatte in Rheinland-Pfalz bislang zu vermeiden. Gleichwohl hat er hier mit Bildungsministerin Doris Ahnen (42) und Wirtschaftsminister Hendrik Hering (43) bereits zwei junge Ressort-Chefs als mögliche Anwärter für noch höhere Posten aufrücken lassen. Mitunter fällt in SPD-Kreisen auch der Name des 60-jährigen Innenministers Karl Peter Bruch ("Mit Bruch gibt es keinen Bruch") als möglicher Beck-Nachfolger in Mainz, vielleicht auch als Übergangslösung.
Gänzlich kostenlose Kindergärten und Rechtsanspruch auf Krippenplätze für Zweijährige bis 2010 -hier gilt das Bundesland als Vorreiter. "Was da in Berlin heftig diskutiert wird, ist in Rheinland-Pfalz schon in trockenen Tüchern", sagt Beck stolz. Mehr Ganztagsschulen, brummende Wirtschaft, gesunkene Arbeitslosigkeit, verbesserte Infrastruktur -auch all dies habe die vergangenen zwölf Regierungsmonate in Rheinland-Pfalz geprägt.
Die Opposition hat naturgemäß eine andere Sicht. FDP-Fraktionschef Mertin moniert, der Schuldenberg des Landes türme sich immer höher auf. "Das engt die Spielräume der Zukunft ein." Auch für die prinzipiell positive Kindergartenpolitik schlage die SPD-Regierung den Schuldenweg ein. Zudem gerieten die Hochschulen massiv ins Hintertreffen, weil Rheinland-Pfalz anders als seine Nachbarländer keine Gebühren für das Erststudium einführe.
Für Baldauf ist unter anderem die Schulpolitik der Genossen ein rotes Tuch: Das Kabinett Beck betreibe den größten Bildungsabbau in der Geschichte des Landes. Immer größere Klassen, hoher Unterrichtsausfall, Lehrermangel - "die Bildungspolitik ist chaotisch", wettert der CDU-Fraktionschef. Ganz anders klang dies in Becks Regierungserklärung vor einem Jahr: Sein Kabinett räume der Bildungspolitik "höchste Priorität" ein.
Von Jens Albes, dpa
Quelle: ntv.de