Dossier

Große Hoffnung Shale Gas "Ein totaler Humbug"

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Eine Bohrung im Marcellus Shale in Pennsylvania.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Gas aus Schiefergestein ist die große Hoffnung von Gasunternehmen und Politik in den USA. Auch in Europa gibt es erste Bohrungen. Doch der Energieexperte Werner Zittel warnt: Die Förderung von unkonventionellem Gas ist extrem umweltschädlich. Zudem werde Gas nicht die Lücken schließen, die wir beim Öl haben werden. Und Shale Gas werde den Rückgang der konventionellen Gasförderung nicht ausgleichen.

n-tv.de: Sie haben eine Studie zu unkonventionellen Gasvorkommen erstellt. Unkonventionelles Öl ist ja mittlerweile allgemein bekannt, aber was ist unkonventionelles Erdgas?

Werner Zittel: Das ist Gas in dichtem Gestein, so genanntes "tight gas", dichtes Gas, insbesondere aber Gas in Schiefergestein, "shale gas". Und wie bei unkonventionellen Ölvorkommen erleben wir, dass Gasunternehmen und Politiker diese Vorkommen betonen, um sich und der Öffentlichkeit einzureden, dass wir genug Öl und Gas für mehrere Jahrzehnte haben - dass also alles beim Alten bleiben kann. In den USA gibt es seit 2005 einen regelrechten Shale-Gas-Boom.

Wie wird Shale Gas abgebaut?

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Bei konventionellen Gasvorkommen sorgt die Druckentspannung dafür, dass Gas nach einer Bohrung aus den Gesteinsporen entweicht. Bei Shale Gas ist das Gestein so dicht, dass es bei Druckentspannung keine Diffusion gibt; man muss künstlich nachhelfen. Dazu muss die Schicht, in der das Gas liegt, flächendeckend aufgebrochen werden. Das macht man mit vielen Einzelbohrungen, die zunächst nach unten gehen und dann in der Ebene der gasführenden Schicht horizontal laufen. In diese Bohrungen wird mit hohem Druck Wasser gepresst. Damit wird das Gestein aufgesprengt: Je mehr Klüfte geschaffen werden, desto mehr Gas wird gewonnen. Um es nach oben zu leiten, müssen Sie den Druck von der Bohrung nehmen - dadurch schließen sich die Klüfte jedoch wieder. Deshalb wird nicht nur Wasser in die Bohrung gedrückt, sondern auch Sand. Der hält den Spalt offen.

Bis jetzt klingt das unproblematisch.

Der Sand allein reicht nicht. Bakterien sorgen dafür, dass die Klüfte sich wieder schließen. Um das zu verhindern, werden dem Wasser BTEX-Chemikalien beigemischt, also Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol - giftiges Zeug. Es soll Bakterien abtöten, deswegen ist es biozid. Zusätzlich ist es noch kanzerogen, also krebserregend.

Was ist die Gefahr dabei?

Es gibt mehrere Risiken. Bei den Bohrungen muss man durch die Grundwasserschicht gehen. Die Bohrung wird zwar mit Zement abgedichtet, aber der Druck ist so hoch, dass es da durchaus zu Rissen und Brüchen kommen kann. Die Gifte werden dann mit hohem Druck ins Grundwasser gepresst. Aber selbst wenn die Zementschicht hält, kann es passieren, dass das mit BTEX versetzte Wasser aus der Gas-Schicht in die Trinkwasserschicht gepresst wird. Was relativ häufig vorzukommen scheint ist, dass das Gas nach oben steigt und sich im Trinkwasser löst. Wenn Sie dann zuhause den Wasserhahn aufmachen, gelangt Gas in Ihr Haus. In mindestens einem Fall, in Ohio, ist ein Haus explodiert, weil genau das passiert ist. Darüber hinaus gibt es noch hohe Abgas- und Lärmemissionen aus dem Betrieb der Anlagen.

Verbleibt das giftige Wasser normalerweise im Boden?

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Shale-Gas-Vorkommen in den USA.

Wenn das Gestein aufgebrochen ist, wird der Druck reduziert und ein Teil des Wassers fließt zurück, der Rest verteilt sich irgendwo im Untergrund.

Wie viel ist das?

Sehr unterschiedlich. Die Umweltbehörde von New York spricht in einem Bericht von 9 bis 35 Prozent der eingepressten Flüssigkeit. Im Barnett Shale in Texas wurde sieben Mal so viel Abwasser zurückgespült wie hineingebracht worden war. Im Marcellus-Gasfeld - das ist das größte in den USA, das reicht von Pennsylvania bis rauf nach New York - hat das Abwasser eine extrem hohe Radioaktivität, da es Radon aus der Lagerstätte enthält. Dieses toxische und radioaktive Abwasser muss entsorgt werden. 2008 hatte das eine Größenordnung von 40 Millionen Litern, bis 2011 wird eine Verdoppelung erwartet. Die Kläranlagen waren bereits mit 40 Millionen Litern überfordert. Teilweise wird das in Teichen zwischengelagert, die neben der Bohrung angelegt werden. Wenn es regnet, können diese Teiche überlaufen.

Was hat den Shale-Gas-Boom ausgelöst?

2005 wurde in den USA der "Clean Energy Act" von der Bush-Administration verabschiedet, in dem festgelegt wurde, dass die Umweltbehörde keinerlei Überwachungsrechte über Trinkwasser gefährdende Aktivitäten der Öl- und Gasförderung mehr hat. Bis dahin unterlag dieser Behörde alles, was das Trinkwasser gefährden könnte. Die Explorationsfirmen müssen der Umweltbehörde jetzt nicht mehr mitteilen, welche Chemikalien sie in ihre Bohrlöcher schütten, wie viel davon, was damit passiert und wie sie wieder entsorgt werden. Das war ein Freibrief für die Öl- und Gasindustrie.

Welche Größenordnung hat der Abbau von Shale Gas in den USA?

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Protest in Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York. Anwohner fürchten, die Methode der hydraulischen Rissbildung ("hydraulic fracturing") werde ihr Trinkwasser verseuchen.

(Foto: REUTERS)

Momentan sind es fast 10 Prozent an der gesamten Gasförderung der USA, Tendenz steigend. Die Energiebehörde der USA erwartet, dass Shale Gas 2030 rund 25 Prozent der Gasförderung ausmachen soll. Allerdings kann man in einigen Gebieten schon feststellen, dass eine Sättigung stattgefunden hat. Mittlerweile muss man deshalb zum Teil sehr nahe an Ortschaften herangehen. Das führt dazu, dass es immer mehr Konflikte mit der Bevölkerung gibt. Schon deshalb würde ich bezweifeln, dass die großen Hoffnungen, die in den USA in Shale Gas gesetzt werden, berechtigt sind. Die Umweltbeeinträchtigung ist einfach zu stark. Ich empfehle jedem, sich mal Satellitenaufnahmen dieser Gebiete anzusehen, zum Beispiel hier in New Mexico oder die Gegend um die Ortschaft Dish in Texas.

Gibt es solche Anlagen auch in Deutschland?

In Europa gibt es insgesamt sieben Projekte dieser Art, eines davon in Deutschland, in Sachsen. Exxonmobil will jetzt auch in Niedersachsen einen Versuch starten.

Wie viel Gas wird da gefördert?

Bisher nicht viel: 2008 belief sich die europäische Förderung von Shale Gas auf insgesamt 140 Millionen Kubikmeter - das klingt viel, ist aber wenig, wenn Sie bedenken, dass in Deutschland pro Jahr 100 Milliarden Kubikmeter verbraucht werden. 140 Millionen Kubikmeter sind nicht einmal ein Promille der europäischen Erdgasförderung.

Warum ist das so wenig?

Zum Teil liegt das daran, dass die Umweltgesetze in Europa strenger sind als in den USA. Hier wird stärker überwacht, was eingepresst wird. Diese Art der Gasgewinnung ist zwar prinzipiell ohne Chemikalien möglich, aber dann ist der Effekt wesentlich geringer und einige der Umweltauswirkungen bleiben trotzdem bestehen - die Firmen experimentieren noch.

Warum machen die Unternehmen das, wenn da nur so wenig Gas zu fördern ist?

Wenn es sich rechnet, wird gefördert. Es ist ein Höllenaufwand, scheint aber immer noch weniger zu kosten, als mit dem Gas zu verdienen ist.

Es ist also betriebswirtschaftlich möglicherweise sinnvoll, volkswirtschaftlich bringt es jedoch nichts.

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Wasser aus einem Brunnen in Dimock, Pennsylvania.

(Foto: REUTERS)

Volkswirtschaftlich betrachtet ist es ein totaler Humbug. Man macht sich die eigenen Ressourcen kaputt. Es ist ein Krieg gegen das eigene Land. Meine Hoffnung ist, dass die Umweltauflagen in Europa nicht für ein paar Kubikmeter Gas gelockert werden.

Im Gegensatz zum Öl wird Gas in erster Linie nicht weltweit gehandelt, sondern in Regionen. Wann wird die europäische Gas-Region ihren Peak Gas erreichen?

Klar ist, dass die meisten europäischen Länder ihren Höhepunkt bereits hinter sich haben, auch Deutschland. Im Wesentlichen hängt Europa von drei Erdgas-Lieferanten ab, von Norwegen, Algerien und Russland. Kjell Aleklett, der Präsident der Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO), hofft, dass der norwegische Peak Gas erst 2020 kommen wird. Mir scheint, dass es schon sehr bald so weit ist. In Russland geht die Förderung zurück, es müsste schnell und viel investiert werden, daneben gibt es neue Konsumenten in Konkurrenz zu Europa. Und die algerischen Gasreserven sind zu gering, um den Import nach Europa zu steigern. Insgesamt rechnen wir damit, dass die EU ihre Importe bis 2030 mindestens verdoppeln müsste, um das Niveau zu halten, auf dem wir jetzt sind. Derzeit importieren wir etwa 260 Milliarden Kubikmeter, das heißt wir brauchen dann 400 bis 500 Milliarden Kubikmeter. Zum Vergleich: Die Ostseepipeline, die gerade gebaut wird, soll im Endausbau eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern haben, wenn beide Leitungsstränge verlegt werden.

Aber es soll ja auch die Nabucco-Pipeline gebaut werden.

Bei der ist völlig unklar, wann sie fertig wird, auch wenn Teilbereiche ab 2014 Gas liefern sollen. Ein zentrales Argument für Nabucco war, dass wir uns von Russland unabhängig machen müssten. Ich weiß nicht, ob es eine sichere Versorgung gibt, wenn man durch Kurdistan in den Iran geht. Darüber hinaus ist unklar, woher die maximal 30 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich denn kommen sollen. Es gibt keine Bezugsverträge. China ist näher an Turkmenistan als Europa.

Kjell Aleklett hat gesagt, man solle die Wissenschaftler, die vor dem Peak Oil warnen, nicht Untergangspropheten nennen. Aber Ihre Botschaft ist doch ziemlich deprimierend: Uns gehen die Energieträger aus und wir haben keine Ahnung, wie wir sie ersetzen sollen.

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Werner Zittel ist Experte für die Reichweiten fossiler Energieträger. Der Physiker arbeitet als Senior Scientist bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, einem Umwelt- und Energieberatungsunternehmen.

(Foto: LBST)

Unsere Botschaft ist: Gas wird die Lücken nicht schließen, die wir beim Öl haben werden. Und Shale Gas wird den Rückgang der konventionellen Gasförderung nicht ausgleichen. Aber wir haben durchaus Alternativen. Für mich wäre das schlimmste aller Szenarien, wir hätten unendlich viel Öl, Gas und Kohle. Wir würden uns einen Dreck um das Klima scheren. Peak Oil und die anderen Peaks zwingen uns, über Alternativen nachzudenken und unsere Wirtschaft umzustellen. Das wird passieren, weil es keine Alternative dazu gibt - und je früher wir das akzeptieren, desto verträglicher wird der Übergang gehen ... oder eben umgekehrt.

Mit Werner Zittel sprach Hubertus Volmer

 

Quelle: ntv.de

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