n-tv.de Interview "Einen Putsch wird es nicht geben"
30.04.2007, 16:34 UhrIn der Türkei spitzt sich derzeit die Lage zu. Das Militär warnt die Regierung, Hunderttausende gehen auf die Straße. Fragen an den Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Professor Dr. Faruk Sen.
n-tv.de: Seit 1960 haben türkische Generäle vier Mal eine demokratische Regierung gestürzt. Nun rasseln sie wieder mit den Säbeln. Gibt es einen neuen Militärputsch?
Faruk Sen: Nein. In der Türkei gibt es überhaupt keine Gefahr, dass ein Militärputsch stattfindet. Die Militärs haben ganz eindeutig gesagt, dass die Islamisierung beendet werden muss, dass besonders beim Geburtstag von Mohammed kein Vertreter des Staates Präsenz zeigen darf, dass die gegenwärtige Regierung etwas vorsichtig sein soll. Aber sie haben nicht gesagt, dass Außenminister Abdullah Gül nicht zum Staatspräsidenten gewählt werden sollte. So eine Aussage gibt es nicht. Auf der anderen Seite ist es eine Tatsache, dass am Sonntag anderthalb Millionen Menschen demonstriert haben. Man will in der Türkei keinen islamisch geprägten Staatspräsidenten. Man will jetzt nicht, dass drei wichtigste Ämter in der Türkei von Islamisten besetzt werden, also das Amt des Staatspräsidenten, des Ministerpräsidenten und des Parlamentspräsidenten.
Ist die Gefahr einer Islamisierung denn real?
Die Gefahr ist real. In der letzten Zeit ist die Regierung sehr aggressiv beim Islamisierungsprozess, und das stört natürlich auch die Bevölkerung in der Türkei. Über Dreiviertel der Türken sind absolut für einen laizistischen Staat.
Kritiker sagen, die islamisch-konservative AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe sich lediglich ein demokratisches Mäntelchen umgelegt.
Ich würde das so hart nicht sagen. Aber ich glaube nicht, dass sie es mit ihrer Reformpolitik ernst meinen, und das ist in der Türkei jetzt auch von der Bevölkerung bemerkt worden. Ich glaube, sie müssen etwas vorsichtiger sein und ehrlich mit den Leuten umgehen. Auf einer Seite geben sie sich zwar sehr westlich, aber ihre Personalpolitik bei den Ämtern ist nicht reformorientiert, sondern eher islamisch geprägt.
Das heißt, die die Gefahr einer Abkehr vom Laizismus besteht?
Die Gefahr einer Abkehr vom Laizismus besteht und die Militärs haben nur die Regierung darauf aufmerksam gemacht. Es wird aber kein Militärputsch mehr in der Türkei stattfinden. Weder die Bevölkerung will das, noch die Militärs.
Im Falle von Neuwahlen: Wie wird die regierende AKP abschneiden?
Sie wird auf jeden Fall gewinnen, aber nicht mit absoluter Mehrheit. Sie haben ja auch eine Wirtschaftspolitik gemacht, die nicht schlecht war.
Ist die Türkei denn derzeit reif für die EU?
Die Türken wollen zurzeit überhaupt nicht die EU-Mitgliedschaft. Nur 41 Prozent sind für die EU. In der Türkei hat die EU vollkommen an Bedeutung verloren. In den letzten fünf Jahren hat die Türkei eine kumulative Wachstumsrate von 42 Prozent gehabt. Auf die EU-Mitgliedschaft legen deshalb weder die Regierung noch die Menschen in der Türkei Wert. Und bei Zypern nehmen sie die Aktionen der EU sehr stark mit Befremden zur Kenntnis. Man geht davon aus, dass die Europäische Union mit der Türkei nicht ehrlich umgeht: Dass die EU wegen des christlichen Hintergrunds eines islamischen Staat als Mitglied nicht akzeptieren möchten.
(Die Fragen stellte Gudula Hörr.)
Quelle: ntv.de