Hoffnung und Ängste in Wiesbaden Erinnerung an Simonis' Sturz
31.10.2008, 09:27 UhrFrau an der Spitze, Dreier-Konstellation, knappe parlamentarische Mehrheit - wenn Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti zur Wahl als Ministerpräsidentin antritt, ähnelt ihre Situation in vieler Hinsicht der ihrer Parteifreundin Heide Simonis. Dass Simonis damals im Kieler Landtag an einem "Heide-Mörder" aus den eigenen Reihen scheiterte, schürt seit Monaten die Spekulationen im Wiesbadener Landtag sowie die Hoffnungen von CDU und FDP. Doch bei näherem Hinsehen zeigen sich auch beträchtliche Unterschiede zwischen der nüchtern-sparsamen Finanzpolitikerin aus dem Norden und der südhessischen Vorkämpferin der "sozialen Moderne".
Einer davon ist, dass Ypsilanti in Hessen erst werden will, was Simonis seinerzeit in Schleswig-Holstein schon war - nämlich Ministerpräsidentin. Angesichts knapper Kassen hatte Simonis den Beamten die Arbeitszeit verlängert und Tarifforderungen der öffentlichen Bediensteten kräftig heruntergehandelt. Ihre rot-grüne Koalition zeigte deutliche Verschleißerscheinungen und verlor bei der Landtagswahl im Februar 2005 die Mehrheit. Simonis war deshalb auf die zwei Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbands angewiesen, um die notwendigen 35 Stimmen aufzubringen. Doch es klappte nicht: In der geheimen Wahl bekam sie nur 34 Ja-Stimmen.
"Heckenschützen" aus den eigenen Reihen
Die Überraschung war perfekt, denn mit einem "Heckenschützen" aus den eigenen Reihen hatte niemand gerechnet. Das ist vielleicht der Hauptunterschied zu Hessen, wo über eine solche Möglichkeit spekuliert wird, seit die SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger im März Ypsilantis ersten Anlauf mit ihrem "Nein" vereitelte. Von Ypsilantis Schwenk zur Linkspartei bis zum rot-grünen Koalitionsvertrag und zur Kabinettsliste haben Hessens Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten ihre Meinungsverschiedenheiten offen ausgetragen. Die internen Kritiker ihres Kurses sind deshalb bekannt.
Deren profiliertester ist Ypsilantis Stellvertreter und Rivale Jürgen Walter. Fehlt am Dienstag die eine, entscheidende Stimme, wird jeder Verdacht auf ihn fallen. Deshalb kann Walter eigentlich keinerlei Interesse an einem Misserfolg der Wahl haben. Sollte sich aber ein anderer, bisher im Hintergrund gebliebener Abgeordneter aus dem rot-rot-grünen Lager mit Sabotageplänen tragen, fände er unter diesen Bedingungen die denkbar beste Deckung. Ohnehin sind solche Abstimmungen immer geheim, und Landtagspräsident Norbert Kartmann (CDU) gibt spezielle Wahlkarten aus, um die Anonymität zu sichern.
Faktisch nur ein Versuch
Dass ein Kandidat nicht alle Stimmen seiner Partei oder seines Bündnisses erhält, ist in deutschen Parlamenten schon öfter vorgekommen. Nur wenige Monate vor Simonis' Desaster war es beispielsweise dem damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) so ergangen. Einige Länderverfassungen erlauben deshalb mehrere Wahlgänge, und bisweilen genügt dann auch die einfache statt der absoluten Mehrheit.
In Hessen ist das dagegen nicht vorgesehen. Verfassung und Landtags-Geschäftsordnung sehen für den Ministerpräsidenten nur einen Wahlgang vor und verlangen dabei die absolute Mehrheit der 110 Abgeordneten. Eine Wiederholung ist beispielsweise dann möglich, wenn eine Fraktion das Ergebnis anzweifelt. Faktisch hat Ypsilanti nur einen einzigen Versuch. So hat die SPD für Montagabend nochmals eine Probeabstimmung angesetzt.
Simonis zog sich damals nach dem vierten Versuch aus der Politik zurück. Ihr Widersacher ist bis heute unentdeckt. Gerüchte um ihren Finanzminister Ralf Stegner (SPD) wurden nie erhärtet - und haben dessen Karriere auch nicht beschädigt. Wenige Wochen nach Simonis' Abgang wurde Stegner Innenminister in einer großen Koalition.
Quelle: ntv.de, Wolfgang Harms, dpa