Dossier

Steinmeier im Interview "Europa hat neuen Schwung"

Kurz vor Beginn des Berliner Geburtstagsgipfels der Europäischen Union hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) den Gegnern der Verfassung in der EU Kompromissbereitschaft signalisiert. "Wir möchten im Juni einen Kompromissvorschlag vorlegen, der die Substanz des Verfassungsvertrages erhält", sagte Steinmeier in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. "Unser Ziel ist es, dass im Jahr 2009 ein neuer Vertrag existiert, auf dessen Grundlage dann die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden können", fügte er hinzu.

dpa: Europa steckt in einer Krise. Kann der 50. Geburtstag der EU neuen Schwung geben?

Steinmeier: Hätten Sie mich im Januar gefragt, ich hätte geantwortet: Ja, Europa steckt in einer Krise. Heute sieht die europäische Welt aber anders aus. Es ist uns gemeinsam mit unseren Partnern gelungen, Europa neuen Schwung zu geben. Nur zwei Stichworte: Durchbruch beim Klimagipfel, Wiederbelebung des Nahost-Quartetts. Dies zeigt: Europa kann Dinge bewegen, wenn es darauf ankommt. Diesen Schwung wollen wir nutzen, um die unter unserer Präsidentschaft noch anstehenden großen Fragen, vor allem die Verfassung, anzupacken.

Ihre wichtigste Lehre aus der bisherigen EU-Geschichte?

Im letzten Jahrhundert gingen zwei Weltkriege von Europa aus - heute gilt die EU als Vorbild für das friedliche Zusammenleben von Völkern. Dass und wie uns dieser Wandel gelungen ist, ist für mich die wichtigste Lehre aus der Geschichte der EU. Heute herrscht in Europa die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Heute haben große wie kleine Länder eine Stimme. Und wir haben gelernt, dass Politik nicht ein Nullsummenspiel ist, bei dem der eine verliert, was der andere gewinnt, sondern dass wir Lösungen finden können, von denen alle gemeinsam profitieren.

Dabei dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Nur gemeinsam wird es uns Europäern gelingen, das Erreichte zu bewahren. Und nur gemeinsam bringen wir das notwendige Gewicht auf die Waagschale, um Globalisierung aktiv zu gestalten, um neben den anderen großen Machtzentren des 21. Jahrhunderts nicht nur zu bestehen, sondern damit unsere Stimme auch gehört wird.

Soll die EU eine Atempause einlegen, mehr auf die Vertiefung als auf die Erweiterung setzen? Kommt 2009 ein Verfassungsvertrag?

Wir sollten keine Gegensätze konstruieren, wo keine sind. Die EU kennt keine Das-Boot-ist-voll-Mentalität. Vor knapp drei Jahren hat die EU die größte Erweiterungsrunde in ihrer Geschichte hinter sich gebracht. Wir führen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und mit Kroatien, die Länder des westlichen Balkans haben diese Perspektive ebenfalls. Klar ist dabei: Für manche der Länder wird es noch lange dauern, bis sie Mitglied der EU werden.

Gleichzeitig müssen wir feststellen: Die EU hat mittlerweile 27 Mitgliedstaaten. Wir brauchen deshalb Regeln, die uns auch künftig schnell, transparent und demokratisch Entscheidungen treffen lassen. Diese Lösungen bietet der 2004 von allen Mitgliedstaaten unterzeichnete Verfassungsvertrag. Er wurde in der Zwischenzeit von 18 Staaten angenommen, in zweien aber per Referendum abgelehnt. Wir möchten im Juni einen Kompromissvorschlag vorlegen, der die Substanz des Verfassungsvertrages erhält. Unser Ziel ist es, dass im Jahr 2009 ein neuer Vertrag existiert, auf dessen Grundlage dann die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden können.

Russland oder USA? Wohin soll sich die EU stärker orientieren?

Die Alternative stellt sich nicht - und wer sie konstruiert, befindet sich auf dem Holzweg. Mit den USA verbinden uns gemeinsame Werte, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie. In vielen internationalen Konfliktherden ziehen wir am gleichen Strang, denken Sie an Iran oder auch den Nahen Osten. Unsere Volkswirtschaften sind ähnlich strukturiert, wir Europäer benutzen Microsoft-Produkte oder den i-Pod, die Amerikaner fahren Mercedes und nutzen SAP-Software.

Gleichzeitig wollen wir unsere strategische Partnerschaft mit Russland weiter ausbauen. Wir sind geographisch aneinander gebunden, wirtschaftlich aufeinander angewiesen. Ein demokratisches, prosperierendes Russland liegt in unserem größten Interesse. Uns als Europäern ist daran gelegen, beide Beziehungen - auf Grundlage ihrer Spezifizität - zu entwickeln und auszubauen.

Quelle: ntv.de

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