Dossier

Rezession oder Klimawandel? Europa kämpft an zwei Fronten

Eine Regierung für die Eurozone, das Aus für Europas Fischquoten oder eine Agrarreform zugunsten Frankreichs: Alles Projekte, die Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy während seiner EU-Ratspräsidentschaft durchsetzen wollte. Und alle gescheitert. Wenigstens das EU-Klimaschutzpaket will Sarkozy auf seine letzten Tage im Amt als EU-Chef durchsetzen. Eine Herkulesaufgabe angesichts der Wirtschaftskrise. Nicht mehr Dürren, Artensterben oder Gletscherschmelze stehen auf der politischen Agenda, sondern die Rettung von Jobs.

Kein Politiker, der sich derzeit hinstellen und das Gegenteil behaupten könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht, der im kommenden Jahr Bundestagswahlen ins Haus stehen - und schon gar nicht Sarkozy. Doch der rastlose Franzose ist keiner, der klein bei gibt. Und so dürften sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel wohl irgendwann in der Nacht auf Freitag auf ihr Klimapaket einigen. Es komme darauf an, dass Merkel und Sarkozy einen Nenner finden, sagt ein Diplomat.

Klimaziele bleiben

Klar ist: An den Klimazielen werden Europas Mächtige ohnehin nichts mehr ändern. Die haben die Staatenlenker bereits unter der Verhandlungsführung der damaligen EU-Ratspräsidentin Merkel im März 2007 beschlossen. Bis 2020 muss die EU unter anderem ihren Kohlendioxid-Ausstoß um 20 Prozent senken. In ihrem "Energie- und Klimapaket" werden diese Beschlüsse jetzt konkret umgesetzt - es ist das teuerste Gesetzesvorhaben der EU aller Zeiten.

Im Kern geht es um zwei Fragenblöcke. Wie viel von den für die Einsparungen nötigen Investitionen, von der Filteranlage bis zum sparsamen Antrieb, muss die Industrie aufbringen? Und wie viel der Steuerzahler, indem er etwa Programme für einen besseren Nahverkehr, mehr Biosprit, Windkraftanlagen oder Gebäudeisolierung bezahlt?

Europa als Pionier?

Schon hat die EU-Kommission im Rahmen des geplanten Konjunkturpakets vorgeschlagen, für energiesparende Bauten eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen zu wollen. EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso hat dafür die Losung geändert. Sprach der Portugiese noch am Anfang der Finanzkrise davon, dass diese vorübergehen werde, der Klimawandel aber nicht, so fordert er jetzt: "Gerade weil wir die Wirtschaftskrise haben, müssen wir in den Kampf gegen die Erderwärmung investieren." Europa könne so zum Pionier in "grünen Technologien" werden, mit sicheren Arbeitsplätzen und einer sauberen Umwelt.

Hebel für den Beitrag der Industrie ist der Emissionshandel, seit 2005 wichtigstes System der EU zur Senkung des CO2-Ausstoßes. Idee ist, dass ein Unternehmen nur so viel Treibhausgase produzieren darf, wie es dafür Rechte besitzt. Sonst muss es an einer Börse dazukaufen - von einem Betrieb, der energiesparender produziert oder bessere Filteranlagen hat. Außerdem wird die EU-weite Obergrenze an Zertifikaten jedes Jahr gesenkt - es muss also dauerhaft gespart werden.

Deutschland verlangt Nachsicht

Für EU-Umweltkommissar Stavros Dimas reicht es nicht, die Industrie mit dem Angebot zum CO2-Sparen zu bewegen, so dass sie nicht benötigte Rechte verkaufen kann. Er will, dass die Betriebe ihre Zertifikate nicht mehr wie bisher kostenlos bekommen, sondern weitgehend ersteigern müssen. Das Geld sollen die Mitgliedstaaten bekommen und möglichst für Klimaschutzprojekte ausgeben. Doch mit seinen ursprünglichen Plänen dürfte er sich kaum durchsetzen. Polen fordert Ausnahmen für seine Stromkonzerne, die zu 95 Prozent Kohle verbrennen. Doch hier ist Großbritannien dagegen. Und Deutschland verlangt Nachsicht für seine energieintensiven Industrien wie die Stahl- und Zementbranche, die mit Abwanderung drohen.

Doch hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn die EU-Kommission hat einen "Solidaritätsfonds" für die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten mit wirtschaftlichem Aufholbedarf vorgeschlagen, in den 10 Prozent der Einnahmen aus der Versteigerung fließen sollen. Je weniger versteigert wird, desto kleiner der Fonds. Und: Warschau verlangt mehr. Auf Sarkozy wartet eine knifflige Verhandlungsrunde. Sollte er scheitern, bleibt zwar auch im neuen Jahr unter tschechischer Ratspräsidentschaft Zeit für eine Einigung.

Es geht der EU derzeit aber vor allem auch darum, das Signal ins polnische Poznan (Posen) zu senden, dass die Gemeinschaft beim Klimaschutz weiter eine Vorreiterrolle einnehmen will. Dort und ein Jahr später in Kopenhagen ringen Vertreter von gut 190 Staaten um ein neues Weltklimaabkommen - sieben Mal so viele wie in der EU. Gastgeberin in Kopenhagen wird die dänische Energieministerin Connie Hedegaard. "Ich bin mir nicht so sicher, dass der Weg in die Zukunft für Europa über den Schutz der Industrien von gestern führt", warnt sie die EU-Chefs.

Quelle: ntv.de, Dorothe Junkers, dpa

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