Wahl in Uruguay Ex-Guerillero will Präsident werden
25.10.2009, 12:27 Uhr
José Mujicas Sieg ist so gut wie sicher.
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Der neue Kopf der uruguayanischen Linksunion Frente Amplio, José Mujica, erntet auf jeder Wahlkampfveranstaltung tosenden Beifall, auch wenn er zu den Unternehmern spricht.
Was passiert, wenn ein südamerikanischer Ex-Guerillakämpfer den 600 reichsten Unternehmern seines Landes die Leviten liest? Normalerweise wohl Tumult, Pfiffe und Saalverbot. In Uruguay hingegen erntet der seinerzeit gefürchtetste Tupamaro-Rebell und heutige Präsidentschaftskandidat der regierenden Linksunion Frente Amplio, José Mujica, tosenden Beifall. "Ich bin hier nicht, um Stimmen einzusammeln. Von denen hab ich eh schon mehr als genug", nuschelt der für sein loses Mundwerk berüchtigte 74-jährige Bürgerschreck ins Mikrofon. "Aber die Gewerkschaften schlagen ja manchmal auch über die Stränge", sagt er dann. Ungläubiger Beifall. "Ihr aber auch", fügt er blitzschnell hinzu. Gelächter über soviel Chuzpe und ein Etappensieg im Kampf um die politische Mitte.
"Wir werden (die Präsidenten- und Parlamentswahl) gewinnen, und ihr werdet uns einfach ertragen müssen. Die eine oder andere Träne wird wohl kullern, aber das Land wird stabil bleiben", versichert der kauzige Kandidat mit dem Großvater-Image. Wenn nicht gleich in der ersten Runde, dann spätestens in der Stichwahl dürfte der frühere Staatsfeind Nummer 1 nach Aussage der Meinungsforscher zum ersten Mann im Staate gewählt werden. Als Vize hat die Frente ihrem widerborstigen Spitzenkandidaten den eher gesetzten Ex-Wirtschaftsminister Danilo Astori zur Seite gestellt. "Der ist die Beruhigungspille für die bürgerliche Mitte", sagt der Meinungsforscher Juan Carlos Doyenart.
Lacalle bringt die Bürger gegen sich auf

Luis Alberto Lacalle hat sich mit seinen abfälligen Aussagen nicht viele Freunde im Wahlkampf gemacht.
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Die konservative Opposition um den Kandidaten der Nationalen Partei, den früheren Präsidenten Luis Alberto Lacalle (1990-1995), hat bisher noch kein rechtes Gegenmittel gegen das Phänomen Mujica gefunden. Der reiche Lacalle stellt sich auch gern selber ein Bein, so wenn er von seiner Luxuswohnung in Montevideo aus das bescheidene Heim von Mujica als "elendes Loch" bezeichnet und damit die Mehrheit der Bevölkerung vor den Kopf stößt, die ähnlich bescheiden lebt. Für Kopfschütteln sorgte auch sein Vorschlag, vor den Slums sollten Friseurläden aufgebaut werden, damit die Armen mal ein bisschen ordentlicher ausschauen.
Das Wahl-Wunder, das sich in dem kleinen konservativen Agrarstaat zwischen Brasilien und Argentinien anbahnt, hat viele Gründe. Mujica und mit ihm eine ganze Generation linker Aktivisten, die Ende der 1960er Jahre den bewaffneten Kampf gegen das verhasste kapitalistische System aufnahmen und von der Militärdiktatur (1973-1985) brutal verfolgt, gefoltert und zum Teil auch ermordet wurden, haben einen langen Marsch durch die Institutionen hinter sich. "Nach dem Traum von der großen Umverteilung verteilen wir jetzt weniger", räumt der vom Marxismus bekehrte Blumenzüchter ein.
Mujica hat die Unternehmer fest im Griff
Das ABC einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik habe er ja schon drauf, versichert Mujica: Marktwirtschaft, Garantie des Eigentums, Schutz von Investitionen und vor allem stabile Rahmenbedingungen. "Eigentlich müsste ich das hier alles gar nicht vorbeten, aber sie wollen ja, dass gerade ich das mal sage", witzelt der Mann, der einmal meinte, einen Anzug ziehe er sich nur an, um eine Bank zu überfallen. Die Unternehmerschaft biegt sich vor Lachen.

Tausende jubeln auf einer Wahlkampfveranstaltung in Montevideo José Mujica zu.
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2004 eroberte die Frente erstmals die Regierung, und der als Präsident stets etwas sakral auftretende Arzt Tabaré Vázquez leitete seither eine erfolgreiche Reformregierung, die in der Wählergunst bei 60 Prozent liegt. "Es bleibt aber noch viel zu tun, damit die Reformen dauerhaft werden", sagt Mujicas Frau, Lucía Topolansky, ebenfalls ehemalige Guerilla-Kämpferin. "Landwirtschaft statt Spekulantentum, keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit", das seien die Ideale aus der Zeit des bewaffneten Kampfes, die auch die Regierungspolitik bestimmen, sagt die heutige Abgeordnete. Am Wahltag können die Wähler bei einem Referendum auch über die Aufhebung eines Amnestiegesetzes für Militärs und Polizisten während der Militärdiktatur entscheiden.
Die einfachen Leute hat Mujica sowieso mehrheitlich auf seiner Seite. Nicht nur wegen des Versprechens, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern, sondern weil er und seine Frau in selbst gewählter Armut leben. "Für Wohlstand haben wir keine Zeit", sagt Topolansky. Ihr windschiefes Häuschen mit altem Mobiliar, ein knatterndes Moped und eine klare Sprache verschaffen Mujica eine Glaubwürdigkeit, die in südamerikanischen Demokratien selten ist. "Und die 13 Jahre in Einzelhaft unter entsetzlichen Bedingungen während der Militärdiktatur haben ihm fast so etwas wie einen Heiligenschein verschafft", sagt Doyenart.
Quelle: ntv.de, Jan-Uwe Ronneburger, dpa