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320 Milliarden Dollar Geraubtes jüdisches Eigentum

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Der Wert des in der Nazizeit den Juden geraubten Eigentums beläuft sich nach Schätzungen der israelischen Regierungen auf eine Gesamtsumme zwischen 230 und 320 Milliarden US-Dollar (gemäß dem Dollar-Wert von 1997). Das ergibt eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie, die in Auszügen in der Zeitung "Haaretz" veröffentlicht wurde.

Es wurden nur die materiellen Werte berechnet, nicht der Gesundheitsschaden und der Tod von Millionen Juden. Die Studie entstand erst jetzt, nachdem man begonnen hatte, "schlummernde Konten" in der Schweiz, vergessene Lebensversicherungen und geraubte Kunstwerke einzuklagen. Es stellte sich heraus, dass geraubtes jüdisches Eigentum nicht nur in Europa schlummert, sondern sogar in israelischen oder amerikanischen Banken. Ebenso gibt es in Israel Grundbesitz von NS-Opfern, der längst für andere Zwecke benutzt und den rechtlichen Erben vorenthalten wird. Ein Grund für die verspätete Aufstellung und Veröffentlichung der Daten sei das Ende des Kommunismus, die Öffnung von Archiven und die Verwandlung des Ostblocks in demokratische Staaten, schreibt "Haaretz".

In der Studie wird festgestellt, dass in der Nazizeit etwa neun Millionen Juden ihr Eigentum verloren haben. Allein das geraubte Gold wird mit zwei Milliarden Dollar beziffert. Verloren gegangene "Einkünfte" von Juden werden auf 100 bis 150 Milliarden Dollar geschätzt, nicht gezahlte Gehälter an Zwangsarbeiter auf zehn bis 50 Milliarden.

Die Studie rät der israelischen Regierung, umgehend privates und öffentliches Eigentum von Juden und Gemeinden zu registrieren, das zwischen 1933 und heute zurückgelassen wurde.

Besonders in Polen sei das ein "sehr delikates" Thema, weil auch andere Nationalitäten (etwa Deutsche) auf die Rückgabe ihres Eigentums pochen könnten. Deshalb meldete das israelische Außenministerium Widerspruch gegen Aktionen der Regierung an, um nicht den Beziehungen mit Polen zu schaden.

In den Ostblockstaaten gebe es bis heute keine klare Regelung für die Erstattung des Eigentums an jüdische Gemeinden. Nur etwa zehn Prozent sei erstattet worden. In Westeuropa, besonders in Frankreich und Deutschland, sei der Prozess der Erstattung von geraubtem Privatbesitz fast abgeschlossen, heißt es in dem Report.

Nachdem Westdeutschland im Rahmen des Marshall-Plans zwischen 1948 bis 1952 rund 1,4 Milliarden Dollar zuflossen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, ordneten die Alliierten die Zahlung von Wiedergutmachung an die Naziopfer an. In Luxemburg wurde 1952 das "Wiedergutmachungsabkommen" mit Israel unterzeichnet, worin sich die Bundesrepublik zur Lieferung von Waren und Dienstleistungen im Wert von drei Milliarden DM (1,76 Milliarden Euro) als "Eingliederungshilfe für die aufgenommenen jüdischen Flüchtlinge" verpflichtete. Gleichzeitig erhielt die jüdische Claims-Conference 450 Millionen DM. Die "Wiedergutmachungszahlungen" an Israel endeten 1965.

Doch Bundesländer und Bundesregierung zahlen bis heute Entschädigungen und Renten für körperliche Schäden, für geraubtes Eigentum, für Versuche an Menschen und vieles andere auf individueller Basis. Gemäß einer Information des Bundesfinanzministeriums beläuft sich eine "Lebensschadensrente" auf durchschnittlich 808,00 Euro im Monat und eine "Entschädigungsrente" auf 531,00 Euro. Laut Bundesfinanzministerium hat die Bundesrepublik seit 1952 bis zum 31. Dezember 2002 für Wiedergutmachung und individuelle Entschädigung etwa 60 Milliarden Euro gezahlt, wovon nur 40 Prozent nach Israel überwiesen wurden. 12 Milliarden wurden in Deutschland ausgezahlt, 24 Milliarden gingen an Israel, die gleiche Summe noch einmal ins übrige Ausland.

Der israelische Report stellt fest, dass die Bundesrepublik bei einigen Posten "billig" davongekommen sei. So habe sie 1952 vertragsgemäß 30 Millionen Mark (13 Millionen Euro) für Renten an NS-Opfer ausgezahlt. Bis heute muss der Staat Israel jedoch jährlich etwa 350 Millionen Euro für diese Renten selber aufbringen. Ebenso habe Israel keinen Pfennig für die Eingliederung von etwa 150.000 osteuropäischen und vor allem russischen NS-Opfer erhalten, die seit 1965 nach Israel kamen.

Quelle: ntv.de

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