Russische Business-Elite Geschäfte ohne Wodka
22.07.2007, 18:15 UhrAusgerechnet im Wodka-Reich Russland saß der Fußball-Bundesligist Schalke 04 bei seiner Kennenlernreise auf dem Trockenen. Der spendable Gastgeber Gazprom, seit kurzem Hauptsponsor des Ruhrgebietsvereins, fuhr bei dem Treffen in der Konzernzentrale in Moskau zwar Spezereien vom Feinsten auf. Es gab Kaviar, gebratenen Stör und französischen Wein. Doch das hochprozentige Nationalgetränk fehlte. "Wir mussten abends selber eine Flasche auftreiben, um in Russland wenigstens einmal mit Wodka anzustoßen", erinnert sich ein Schalker Delegationsmitglied an die Reise im Frühjahr.
Dass in Russland bei jedem Geschäftsabschluss oder wichtigem Wirtschaftstreffen der Schnaps aus Wassergläsern hinuntergekippt wird, zählt zu den scheinbar ewigen Klischees. Die Realität ändert sich jedoch - zumindest auf der Top-Ebene im Wirtschaftsleben. "Es wird bei Geschäftsessen immer weniger Hochprozentiges getrunken", berichtet ein Unternehmensberater in Moskau. Allenfalls ein Glas Wein zum Mittag oder abends auch mal ein frisch gezapftes Bier gönnt sich die neue Generation russischer Spitzenmanager.
In der russischen Bevölkerung ist der exzessive Wodka-Konsum dagegen weiterhin verbreitet. Alkoholmissbrauch gilt als die häufigste Todesursache unter Männern im Alter zwischen 25 und 54 Jahren. Jährlich sterben in Russland zehntausende Menschen an akuter Alkoholvergiftung.
Wer in Russland zur rasant wachsenden Schicht der Wohlhabenden zählt, achtet verstärkt auf die eigene Gesundheit. "Wir brauchen nüchterne Kräfte, um als Konzern voranzukommen", erklärt ein Mitarbeiter aus der PR-Abteilung von Gazprom. Der vom Kreml kontrollierte Gasmonopolist will in den kommenden Jahren der weltweit größte Energiekonzern werden - und das mit klarem Kopf.
Russlands Manager orientieren sich längst an amerikanischen Gepflogenheiten. Ein Heer von jugendlichen Geschäftsleuten - auf neu-russisch "Bisnessmeni" - trägt teure Anzüge aus dem Westen, geht regelmäßig ins Fitness-Studio und unternimmt auch sonst alles, um so smart und dynamisch wie nur möglich aufzutreten.
Bislang beschränkt sich die neue Nüchternheit vor allem auf die Geschäftswelt in den Metropolen Moskau und St. Petersburg. Im fernen Sibirien kann es weiterhin passieren, dass man einen aus der Hauptstadt entsandten Gazprom-Mann auf Demonstrationstour durch die Gasfördergebiete morgens um 8 Uhr mit der Bierflasche in der Hand antrifft. "Wir sind weit weg von Moskau. Hier darf man das noch", erklärt der Mitarbeiter auf dem Hotelflur.
Doch selbst in den entlegenen russischen Regionen geht es bei Geschäftskontakten mit Ausländern nicht mehr so wild zu wie zu Sowjetzeiten. Einen ehemaligen Bergwerks-Ausrüster aus dem Ruhrgebiet schüttelt es noch heute, wenn er an die Verbrüderungsszenen mit den Bergbau-Direktoren vor 30 Jahren denkt. Ob im sibirischen Kohlerevier Kusbass oder im ukrainischen Donbass-Becken - überall waren die Gepflogenheiten gleich. "Erst fuhren wir in den Schacht ein, dann ging mittags in der Bergwerkskantine das große Saufen los", sagt der pensionierte Unternehmer.
Stundenlang habe man zu Tisch gesessen mit Trinksprüchen, Liedern und Anekdoten. Dazwischen galt es immer wieder, die berüchtigten "sto gramm" (hundert Gramm) zur Brust zu nehmen. "Das war Schwerstarbeit. Doch gute Geschäfte haben wir auch damals gemacht", erinnert sich der leidenschaftliche Russlandreisende.
Von Stefan Voß, dpa
Quelle: ntv.de