Dossier

"Ideenlose Zwergpartei"? Gorbatschows Polit-Comeback

Michail Gorbatschow wagt es noch einmal. 17 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion will der Ex-Präsident mit einer neuen Unabhängigen Demokratischen Partei in die Duma. Mitstreiter von Gorbatschow, der im Westen wegen seiner Verdienste um den Fall des Eisernen Vorhangs immer noch als Lichtgestalt gilt, ist ausgerechnet ein früherer KGB-Offizier. Der Ex-Geheimdienstler und Unternehmer Alexander Lebedew stellt für die Initiative eine Million US-Dollar bereit. Politologen sind skeptisch: Bisher waren alle Comeback-Versuche Gorbatschows gescheitert. Die russische Opposition kritisiert das Projekt als weitere Spaltung kremlkritischer Kräfte.

Lebedew dagegen ist optimistisch. Das Programm der Partei, zu dem die Schaffung freier Medien und unabhängiger Gerichte in Russland gehöre, werde bei der nächsten Duma-Wahl 2011 zum Erfolg führen, sagte der 48-jährige Milliardär der Zeitung "Wedomosti". "Die Russen haben den Umgang mit der Freiheit noch nicht gelernt, die Gorbatschow ihnen gebracht hat." Es ist nicht Lebedews erste Zusammenarbeit mit Gorbatschow: Beide halten Anteile an der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta", für die auch die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja schrieb.

Kein Profil als Oppositioneller

Ein geschärftes Profil als Oppositioneller besitzt Gorbatschow nicht. Zwar vertritt er immer wieder unbequeme Meinungen, zum Beispiel mit einem Appell zur Begnadigung einer inhaftierten früheren Juristin des zerschlagenen Yukos-Konzerns. Allerdings unterstützte er auch mehrfach öffentlich Schritte des Kremls. Erst im August verteidigte er die russische Militäroffensive nach Georgien gegen internationale Kritik. Bisher schweigt der 77-Jährige, der sich in den vergangenen Jahren in internationalen Zeitungsanzeigen auch als Werbe-Ikone für Luxusartikel präsentierte, über seine politischen Motive.

"Man muss abwarten. Lebedews Erklärung, das Land modernisieren zu wollen, scheint kaum ein ausreichender Grund für das Projekt zu sein", meint der Politologe Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie- Zentrum. Andererseits habe Gorbatschow wenig zu verlieren: "Er ist als Friedensnobelpreisträger bereits eine Legende." Auf Gorbatschow habe vielleicht der Tod seines Rivalen Boris Jelzin im vergangenen Jahr befreiend gewirkt, meint der Berliner Politikwissenschaftler Eberhard Schneider. "Ihr Streit ging tief bis ins Persönliche." Auch suche Gorbatschow möglicherweise nach einer neuen Aufgabe, nachdem sein Versuch gescheitert sei, Russlands Sozialdemokraten zu einen.

Er kann nicht von der Politik lassen

Nach Einschätzung der Zeitung "Wedomosti" können "Akteure der Wende" wie Gorbatschow nicht von der Politik lassen. "Wer eine solch intensive Zeit erlebt hat, kann nicht einfach ins Privatleben zurückkehren." In vielen Ländern ist Gorbatschow, einst einer der mächtigsten Männer der Welt, wegen seiner Politik der "Glasnost" (Offenheit) und "Perestroika" (Umgestaltung) populär. In seiner Heimat hingegen werfen dem früheren Staatsoberhaupt viele Menschen das Chaos nach dem Zerfall der Sowjetunion vor. Als Gorbatschow im Jahr 2000 gegen Wladimir Putin fürs Präsidentenamt kandidierte, stimmte nur knapp ein Prozent für das ehemalige Staatsoberhaupt.

Russland-Experte Schneider zweifelt an einem Erfolg der neuen Partei. "Das Projekt droht, wie viele oppositionelle Initiativen vor ihm, eine Kopfgeburt zu werden, die keine soziale Basis in der Gesellschaft besitzt." Der Zeitung "Kommersant" ist vor allem die Rolle Lebedews suspekt: "Vielleicht will sich der Unternehmer nur eine politische Basis schaffen und nutzt Gorbatschow als Zugpferd." Gegenwind für die Initiative kommt auch von der Opposition.

Für Russland von Nachteil

"Eine solche Partei würde die Kritiker der Macht weiter spalten, das wäre für die Entwicklung der Demokratie in Russland von großem Nachteil", sagt Ex-Vizeregierungschef Boris Nemzow. Sergej Borissow, Präsident des Mittelstandsverbandes "Opora", verhöhnt die Initiative sogar als "ideenlose Zwergpartei". Politologe Malaschenko vom Carnegie-Zentrum ist skeptisch, ob die Partei überhaupt die erste Hürde nimmt: die Registrierung beim russischen Innenministerium. "Wenn der Kreml dagegen ist, hat diese Kraft sowieso keine Chance."

Quelle: ntv.de, Wolfgang Jung, dpa

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