Dossier

Einheitsregierung im Visier? Hamas bekennt sich zu Anschlag

Von Ulrich W. Sahm

Die gezielten Schüsse eines palästinensischen Scharfschützen aus dem Gazastreifen auf einen Techniker der israelischen Stromwerke nahe dem Grenzübergang Karni am Montag hatten zunächst kein großes Aufsehen erregt. Der Mann, Kobi Ochajon, wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Er hatte eine Panne an dem Grenzterminal für Benzin, Wasser und Strom repariert.

Seit der Einrichtung eines "einseitigen Waffenstillstandes", zu dem sich die großen palästinensischen Organisationen auf Druck der Ägypter verpflichtet hatten, reagiert die israelische Armee nicht auf derartige Vorfälle, obgleich zeitgleich auch am Montag wieder vier Kassamraketen vom Gazastreifen in Richtung Israel abgeschossen wurden.

Die Mitarbeiter der Stromwerke ersannen ihre private Rache für die Verletzung ihres Kollegen. Bei dem Terminal werden über elf Hochspannungsleitungen etwa 100 Megawatt Strom von Israel in den Gazastreifen geliefert. Die Elektriker unterbrachen auf eigene Initiative bei drei Leitungen den Strom, was im Gazastreifen zu Stromausfällen führte. Das Direktorium der israelischen Stromgesellschaft unterband das Abschalten. Innerhalb kurzer Zeit war die volle israelische Stromversorgung für den Gazastreifen wieder hergestellt.

Der Vorfall mit dem verletzten Elektriker erhielt dann doch eine hochpolitische Bedeutung: Der "militärische Arm" der Hamas übernahm die Verantwortung für die Schüsse auf den Elektro-Arbeiter.

Unter einer großen Schlagzeile der regierungskritischen Zeitung "Haaretz" werden zwei widersprüchliche Einschätzungen israelischer Sicherheitskreise zitiert. Die Hamas gelte als "äußerst diszipliniert", sodass dieser Vorfall "von oben befohlen gewesen sein muss". Andere glauben eher, dass es Kreise innerhalb der Hamas gibt, die das Programm der erst am Samstag eingerichteten palästinensischen "Einheitsregierung" mit der Fatah unterlaufen wollen. Präsident Mahmud Abbas hatte zwar vor der feierlichen Vereidigung der neuen Regierung am Samstag der Gewalt abgeschworen, doch Ministerpräsident Ismail Hanija bestand auf einer Fortsetzung des "legitimen Widerstandes in allen Formen" im Regierungsprogramm wie in öffentlichen Äußerungen.

Die Übernahme der Verantwortung für den Vorfall durch die Hamas fällt palästinensischen Politikern in den Rücken, die sich schon auf dem Weg in europäische Hauptstädte befinden, um für eine Anerkennung der Einheitsregierung zu werben. Sie wollen den Finanzboykott der Autonomiebehörde durch das Nahostquartett (EU, USA, UNO und Russland) lockern. Die internationale Gemeinschaft hatte neben einer Anerkennung des Existenzrechts Israels und einer vollen Akzeptanz aller bestehenden Abkommen zwischen Israel und der PLO auch auf einem Gewaltverzicht bestanden.

Die grenzüberschreitenden Schüsse auf Zivilisten werden von den Israelis als "Terror" bezeichnet, weil sie genauso gut Bauern auf ihren Feldern oder Kinder treffen könnten. "Hohe Sicherheitsbeamte" erklärten laut "Haaretz", dass Israel "im Falle einer Fortsetzung solcher Anschläge scharf regieren" werde, zumal die Hamas auch andere Anschläge initiierte. Auf der Sinaihalbinsel verhafteten am Montag die ägyptischen Sicherheitsbehörden einen jungen Palästinenser, der sich nach eigenen Angaben im Auftrag der Hamas auf dem Weg zu einem Selbstmordanschlag in Israel befand. Nach palästinensischen Angaben aus dem Gazastreifen hat ein Bruder des ehemaligen Außenminister Mahmoud Asahar (Hamas) die Attacken auf Israel wie auch innerpalästinensische Schießereien initiiert, um die Einheitsregierung zu Fall zu bringen, weil sie "zu gemäßigt" sei.

Quelle: ntv.de

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