Was sagen die anderen "Hamburger Wohlfühlparteitag"
26.10.2007, 20:09 UhrMit 483 von 506 gültigen Stimmen hat der SPD-Bundesparteitag den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck erneut zum Vorsitzenden gewählt.
"Der Auftakt des SPD-Parteitags folgt der Dramaturgie eines absehbaren Triumphs Kurt Becks über seine Widersacher," kommentiert die "Stuttgarter Zeitung". Dabei sei Becks Rede "keineswegs triumphal", sein Wahlergebnis nicht triumphaler als erwartet und sein Triumph im parteiinternen Streit "vorab bereits entschieden" gewesen. Der Parteichef habe jedoch demonstriert, "wer der mächtigste Mann in der SPD ist: König Kurt. Er ist kein großer Redner und schon gar kein Visionär, kein Vordenker, aber ein versierter Handwerker der Macht, ein Parteipatriarch, ein Integrator und für einen nicht zu unterschätzenden Teil des sozialdemokratischen Publikums durchaus auch Identifikationsfigur. So hat schon einmal einer seine Partei beherrscht: Helmut Kohl.
"Keine Frage: Kurt Beck ist der Sieger von Hamburg. Der Pfälzer steht unangefochten an der Spitze der SPD." So schreibt die Münchner "Abendzeitung". Schröder habe ihn als "Klavierspieler" bezeichnet, "ob die Bürger aber das ewige Hin und Her zwischen Becks Partei-Dur und Münteferings Regierungs-Moll bei den nächsten Wahlen belohnen werden, ist höchst unsicher. Und auf der Klaviatur des Populismus heißt der Starpianist sowieso Lafontaine."
Auch der "Mannheimer Morgen" betrachtet Becks Führungsposition mit Weitblick: "Wer seine Bodenständigkeit mit provinzieller Behäbigkeit verwechselte, ist eines Besseren belehrt. Der Mainzer Ministerpräsident, der in kleiner Runde sehr wütend werden kann, hat sich durchgesetzt. Doch trotz steigender Umfragewerte ist das Kanzleramt noch weit, weit weg. Und dort wartet ein ganz anderes Kaliber."
"Zwar hat Beck die Auseinandersetzung mit Franz Müntefering um das Arbeitslosengeld I gewonnen, aber seine Partei nicht geschlossen hinter sich gebracht. Viele Spitzengenossen haben sich nur deshalb und gegen eigene Überzeugung auf die Seite Becks geschlagen, weil sie ihren Vorsitzenden nicht beschädigen wollen", schreibt die "Neue Westfälische" aus Bielefeld und vermutet, dass nur die Angst "die Genossen zusammenhält, die Angst, ohne Vormann dazustehen, wenn Beck aufgeben sollte."
Die "Eßlinger Zeitung" zeigt sich bei so viel Geschlossenheit verwundert: "Der Parteitag suhlte sich in demonstrativer Einigkeit, was nach dem wochenlangen Donnergrollen zwischen Beck und Arbeitsminister Franz Müntefering nicht unbedingt zu erwarten war. Das leichte Abrücken von Hartz IV ist dabei nicht viel mehr als ein symbolischer Akt. Auch in der Union gibt es Stimmen, die für den längeren Bezug des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer plädieren."
Die Mainzer "Allgemeine Zeitung" wertet den Parteitag als "emotionalen Gipfel" nach den schweren vergangenen Wochen, wirft aber ein: "Die Mühen der Täler werden unweigerlich folgen. Denn Sozialpolitik ist das Bohren dicker Bretter, auch in wirtschaftlich besseren Zeiten. Gefragt sind intelligente Lösungen, die bezahlbar sind und lange tragen. Beck und die SPD werden sich also zu überlegen haben, welche Inhalte der Agenda 2010 vor diesem Hintergrund angemessen sind, und welche nicht.
Die "Westdeutsche Zeitung" aus Düsseldorf fürchtet um die Große Koalition, da "Vizekanzler Müntefering gegen seine eigene Überzeugung die Beschlüsse des Parteitages in Regierungshandeln umsetzen soll" und die SPD nun versuche "Opposition in der Regierung zu machen." Im Hinblick auf die Wahlen fürchtet das Blatt, dass "nach der Kabinettsklausur im Sommer notwendige, weitere Reformen" ausbleiben werden und fügt hinzu: "Aber wann sollen Reformen umgesetzt werden, wenn nicht in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs?"
Auch das "Mindener Tageblatt" sieht die Koalition vor einem Klimawandel: "Die Parole lautet Vorwärts Genossen, wir müssen zurück, wahlwerbetechnisch übersetzt mit Weiterentwicklung der Agenda. Auch wenn Beck das dementiert, geht die Reise nach links - andere Möglichkeiten bleiben kaum. Der Ton in der Koalition dürfte also deutlich rauer werden, als jetzt schon beinahe täglich zu beobachten."
Eine klare Führungslinie kann die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bei Beck nicht erkennen und nimmt der Lage wortspielerisch den bitteren Ernst: "Die Schleusentore der Agenda 2010 wollte Beck bisher nicht öffnen - aber den Schröderschen Damm hat er zur Druckverminderung an einer Stelle höchstpersönlich durchstochen. Das ist unser Deichgraf!, ruft die SPD, weil er für beides steht, das Halten und das Nachgeben. Wie auch die Gräfin auf dem anderen Wall. Ihr 'Wankelmütigkeit' vorzuwerfen klingt freilich so, als habe Beck hoch zu Schimmel das Fernglas mit dem Spiegel verwechselt."
Die "Frankfurter Rundschau" beleuchtet kritisch die SPD-Parteiprogrammatik und ihren Anspruch "das Vertrauen in die Gestaltbarkeit der Gesellschaft wiederherzustellen. Das sind hehre, notwendige, aber auch schnell hingeschriebene Worte. Was das 2009 sein soll, das soziale Deutschland, Marke SPD: Dies neu durchzudeklinieren bleibt nicht viel Zeit. In Hamburg haben sie sich etwas Mut zugeklatscht. Für einen echten Aufbruch braucht es mehr."
Skeptisch urteilt auch die "Rhein-Neckar-Zeitung" aus Heidelberg: "Der SPD ist kalt geworden. Kalt an der Seite des Koalitionspartners Union. Ausgekühlt war sie aber bereits durch die Agenda 2010 ihres Kanzlers Schröder. Diesem Zustand setzt der bodenständige Pfälzer Kurt Beck persönliche W ärme und ein Programm entgegen, das deutlich sozialer daherkommt als die Regierungspolitik. Der Hamburger Wohlfühlparteitag mag zwar den Zustand der Partei beruhigen, ob er aber zur Gesundung des Landes beiträgt das darf bezweifelt werden. Dennoch ist König Kurt eine sensationelle Seelenmassage der SPD gelungen."
Die "Süddeutsche Zeitung" aus München bringt dem Parteiprogramm Wohlwollen entgegen: "Eine SPD, die sich um eine neue Sozialpolitik müht, darf stolz sein. Wenn der Staat schon nicht dafür sorgen kann, dass alle Kinder in geordneten Verhältnissen geboren werden, dann muss er sich darum kümmern, dass sie sodann die Förderung erfahren, die sie brauchen. Der sorgende und vorsorgende Sozialstaat, den die SPD jetzt propagiert, ist ein Schicksalskorrektor - zu Recht."
Quelle: ntv.de