Reise nach Palästina "Hanija glaube ich kein Wort"
04.05.2007, 16:57 Uhrvon Ulrich Sahm
Abgeordnete des EU-Parlaments akzeptieren den Boykott der Hamas nicht mehr. Deshalb besuchten sie in Gaza den Hamas-Regierungschef Ismail Hanija. Johannes Voggenhuber (Grüne) aus Österreich zählt sich zu den pro-israelischen Parlamentariern in Straßburg und wollte "die andere Seite" kennen lernen.
"Ich war traumatisiert, dass wir im europäischen Parlament den Nahostkonflikt auf skurrile Weise nachspielen", sagt Voggenhuber. "Wir sind nicht Opfer, wir haben nichts zu verlieren, es kostet uns nichts. Aus vermessener Naivität heraus schlug ich eine gemeinsame Reise vor, der pro-israelischen und der pro-palästinensischen Fraktion, damit sie die jeweils andere Seite kennen lernen."
In Tel Aviv erzählte der deutsche Botschafter Harald Kindermann von einem "gewaltigen Fehler" der EU: "Wir Europäer wollten, dass die Hamas an der Wahl teilnimmt. Wir wollten sie einbetten. Dann passierte aber, womit wir nicht gerechnet hatten: Die Hamas erhielt eine Mehrheit." Für Voggenhuber war das ein gefährliches Spiel. "Würde man in Deutschland die NPD oder die RAF kandidieren lassen, weil man sie einbetten will? Nein!" Demokratische Wahlen und eine Mehrheit legitimierten die Hamas-Statuten keineswegs.
Beim Gespräch mit fünf Hamas-Ministern fragte Voggenhuber, ob diese bereit seien, mit Olmert zu reden. Sie antworteten: "Wir erkennen die Regierung Israels an, nicht aber Israel." Der Österreicher kommentiert: "Die Natur einer Regierung ist es, einen Staat lenken. Wenn man nur die Regierung, nicht aber den Staat anerkennt, den sie repräsentiert, dann ist das ein böses Spiel."
Der Missbrauch von "Sicherheit"
Erschüttert schildert Voggenhuber, was er bei seinem Besuch in den Palästinensergebieten gesehen hat: militärisches Hinterland, zerstückelt, geschlossene Grenzen, 560 Blockaden. Hebron ist eine Maschine, die Gewalt, Elend und Terrorismus erzeugt. Die alte Stadt Bethlehem sitzt hinter einem Stahlkorsett. "Es widerspricht allem, was wir uns unter Menschenrechten, Bürgerrechten und zivilisiertem Verhalten vorstellen. Was ich dort sah, ist grauenhaft." Voggenhuber weiß, wie alles zustande kam, auf was die Israelis regierten. Gleichwohl ist für ihn "Sicherheit" das "am meisten missbrauchte aller Wörter".
Zu Premierminister Hanija sagt der Österreicher: "Es gab nur einen einzigen, bei dem ich aufgestanden bin und meinen Nachbarn gesagt habe: Diesem Mann glaube ich nicht ein einziges Wort. Das war Hanija."
"Er tauchte in Gaza als Warlord auf, in goldenen Seidenvorhängen unter einer Styropordecke, in einer Sultanästhetik aus dem Supermarkt um die Ecke. Das war Provinzbühne in Galizien, wo man Kaiserhof spielte. Und da saß er. Als einziger, leicht abgewandt, mit einem Dolmetscher, obwohl er mit Sicherheit gut Englisch spricht. Und er hat Fragen nicht beantwortet. In der ganzen skurrilen Atmosphäre war er tatsächlich der Diabolus."
Voggenhuber wandte sich an Hanija: "Eines will ich von Ihnen wissen. Und das sage ich Ihnen jetzt persönlich. Ich habe Ihre (Hamas-) Verfassung gelesen und war zutiefst schockiert. Ich habe einen solchen abscheulichen Text, strotzend von Antisemitismus, Rassismus und Gewalt noch nicht gelesen. Und ich möchte jetzt von Ihnen wissen, wie Sie das unterschreiben können und das Programm der Einheitsregierung, wenn Sie doch darauf verpflichtet sind." Doch Hanija antwortete nicht.
"Dieser Schrecken kriecht in jede Pore"
"Hanija war der einzige, der uns missbrauchte. Im Gespräch hat er uns für die Dummen gehalten. Er spielte eine Rolle in seinem Zirkus und war der Warlord in dieser chaotischen Gesellschaft in Gaza. Das ist sein Reich. Das Chaos als Ressource seines Daseins. Die Verzweiflung, die Angst, der Schrecken, das hat auch etwas Totalitäres. Dieser Schrecken kriecht in jede Pore. So habe ich ihn gesehen."
Gleichwohl: "Mein Gott, ist es ein Segen, dass der eingebunden ist." Hanija warte auf seine Stunde, dass die Einheitsregierung zerfalle. Deshalb könne ihm nichts Schlimmeres passieren, als dass "wir der Einheitsregierung helfen".
"Wie klein ist der doch geworden, nach dem Wahlsieg. Der sitzt in Gaza. Die haben ihn abgeschnitten. Seine Arroganz zeigt auch, dass er von Vielem abgeschnitten ist, dass er sich zurückziehen muss in seine Festung. Er ist zu Allem bereit. Ich habe ihn gesehen. Auch zu Dingen, von denen wir noch gar keine Ahnung haben. Tatsächlich hat es dieser Mann nicht zusammengebracht, obwohl er leicht angespannt war, sich vom (Hamas-) Programm zurückzuziehen."
Beim Treffen mit Nichtregierungsorganisationen erlaubte sich Voggenhuber einen weiteren Tabubruch: "Ich wollte über Ihren Beitrag zum Frieden reden. Da hätte ich ein Problem, nämlich die Anerkennung Israels." Nachdem die Delegation erfror und unter den Palästinensern Geschrei ausbrach, habe einer lediglich gesagt: "There is no need for this" - das sei doch unnötig.
Quelle: ntv.de