Mittelmeerunion Heikler "Gipfel für den Frieden"
10.07.2008, 17:14 UhrAuf einem historischen Gipfeltreffen mit den Anrainerstaaten des Mittelmeeres will die Europäische Union kommenden Sonntag in Paris die "Union für das Mittelmeer" gründen. Es soll ein Höhepunkt der französischen EU-Ratspräsidentschaft werden. "Das wird ein Gipfel für den Frieden", erklärt der französische Präsidentenberater Henri Guaino, der das Projekt ersonnen hat. "Im Mittelmeerraum entscheiden sich die Zukunft der Zivilisation, der Weltfrieden und das Verhältnis des Westens zur muslimischen Welt." Dabei ist von Guainos ursprünglicher Idee nach dem energischen Eingreifen der Bundeskanzlerin Angela Merkel kaum mehr übrig geblieben als der Name.
Der Euroskeptiker Guaino hatte einen Staatenbund konzipiert, der das alte Römische Reich mit Frankreich als Angelpunkt nachzeichnete. Präsident Nicolas Sarkozy wollte auf dem Gründungsgipfel einen "Grundstein für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Union" der Mittelmeerstaaten legen. Ein Pfeiler der Mittelmeerunion werde ein "kollektives Sicherheitssystem" von Marokko bis Israel. Brüssel sollte als Geldgeber nur ein Partner auf selbem Niveau wie die Arabische Liga sein. Deutschland sollte als "nicht ständiges Mitglied" bei einzelnen Umwelt- und Entwicklungsprojekten mitmachen dürfen. Sitz (Tunis), Führung (Paris, Kairo) und Projekte: Alles war vorausgedacht.
Merkels "Stopp"
Doch Merkel sagte "Stopp". Die Kanzlerin fürchtete, das Projekt könne die EU zerreißen, und fand in der EU dafür breite Zustimmung. Die Deutschen hätten sogar mit der Blockade aller anderen Dossiers der französischen EU-Ratspräsidentschaft gedroht, berichtet der regierungsnahe Pariser "Figaro". Die EU arbeitet im "Barcelona-Prozess" seit 1995 mit den Mittelmeerstaaten zusammen. Die Kooperation war in Essen unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet worden und Brüssel stellt dafür Milliarden bereit.
Unter Druck der EU akzeptierte Sarkozy schließlich die Einbindung des Projektes Jetzt heißt es "Barcelona-Prozess: Union für das Mittelmeer". "Sarkozy hat von seinen Träumen eines Protektorates Abstand genommen", analysierte das Politmagazin "Marianne". Algerien und Marokko hätten allerdings die EU lieber mehr auf Abstand gehalten. Libyens Führer Muammar el Gaddafi warf Brüssel sogar erregt vor, die Araber mit dem Projekt spalten zu wollen.
Einstimmigkeit hieße Totenstarre
Paris ist dennoch zufrieden. "Am Ende zählt das Ergebnis", sagt Guaino. Der Dialog rund ums Mittelmeer habe neuen Schwung bekommen. Und Deutschland hebt hervor, dass in Paris Israelis und Syrer an einem Tisch sitzen: Das sei die eigentliche politische Botschaft des Treffens. Für ein gemeinsames "Familienfoto" wird es aber laut Guaino nicht reichen. Einige Araber wollen nicht mit den Israelis auf einem Bild sein. Gaddafi hat sogar definitiv abgesagt und schickt nur einen "Beobachter".
Zwei Prinzipien hat Sarkozy für die Mittelmeerunion durchgesetzt. Erstens: Nord und Süd teilen sich Vorsitz und Verantwortung. Die Union bekommt ein Sekretariat und eine rotierende Doppelspitze, mit der "der Süden" aufgewertet wird. Zweitens: Die Union bekommt "je nach Projekt variable Grenzen". Keiner kann ein Veto einlegen, wenn andere etwas gemeinsam machen wollen.
Anders ginge es auch nicht. Denn Einstimmigkeit hieße Totenstarre. Schließlich sind "Unionsmitglieder" wie Syrien bisher nicht einmal bereit, mit dem "Unionsmitglied" Israel direkt zu sprechen. Marokko und Algerien haben wegen des Streits um die Westsahara ihre gemeinsame Grenze geschlossen. Und im geteilten Zypern, auf dem Golan und im Libanon müssen UN-Truppen für Frieden sorgen.
Menschenrechte als Ergebnis statt Voraussetzung
Einige Konflikte der Mittelmeeranrainer sind religiös überlagert und damit rational schwer zu lösen. Die konkreten Projekte der Mittelmeerunion sollen helfen, einen "Kampf der Kulturen" im Mittelmeerraum zu vermeiden - so wie einst Bundeskanzler Willy Brandt mit dem "Wandel durch Annäherung" die Ost-West-Konfrontation überwinden wollte. Sarkozy nennt das "eine Politik der Zivilisation". Die Forderung nach Wahrung der Menschenrechte in Libyen und anderswo steht dahinter zurück. Die Menschenrechte könnten nur ein Ergebnis und keine Voraussetzung für die Zusammenarbeit sein, erklärt die französische EU-Ratspräsidentschaft.
Projekte von gemeinsamem Interesse gibt es zuhauf. Das reicht vom Schutz des Mittelmeeres über die Wasser- und Energieversorgung bis zur gegenseitigen Hilfe bei Waldbränden und zum Bau von Bahn- und Straßenverbindungen. Diverse Projekte sind mit Mitteln Brüssels und der Europäischen Investitionsbank schon angelaufen und könnten einfach einen neuen Stempel bekommen. Nicht uneigennützig hat Frankreich zudem seine Großkonzerne von Areva (Atomkraft) über Bouygues (Bau) und Veolia (Wasser, Müll) bis zu Alstom (Bahntechnik, Energieanlagen) in einer "Mittelmeerstiftung" Projekte erarbeiten lassen. Deutschland hat durchgesetzt, dass neben der Kernkraft auch die Sonnenenergie gefördert werden soll.
Von Hans-Hermann Nikolei, dpa
Quelle: ntv.de