Szenen einer Politbeziehung Heiter bis wolkig
15.10.2007, 08:14 UhrEin Abend zu zweit in einem Weinlokal im romantischen Rheingau soll schon mancher komplizierten Beziehung geholfen haben. Also lud Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den russischen Präsidenten Wladimir Putin für Sonntagabend in die "Adlerwirtschaft" in Hattenheim am Rhein ein. Mitten im Riesling-Reich begannen die deutsch-russischen Regierungskonsultationen.
Die Begrüßung vor dem zweigeschossigen Fachwerkhäuschen fiel freundlich aus, aber ohne Umarmung oder Kuss. Der um Stunden verspätete Putin brachte Blumen für die Kanzlerin mit. "Wir freuen uns, dass der Präsident hier ist", sagte Merkel und sprach vor den Ohren der Journalisten ansonsten nur über das Schneewetter, das den Gast in Moskau festgehalten hatte.
Nach all der Freundschaft
Merkel und Putin sind auf der politischen Bühne ein Paar, das sich gegenseitig achtet, aber auch öffentlich streitet. Die schulterklopfende Männerfreundschaft, die "Gerd-und-Wladimir-Show" mit dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), ist vorbei. Die Kanzlerin aus Ostdeutschland, die selbst passables Russisch spricht, nennt Probleme beim Namen, was Putin oft zu Gegenattacken reizt. Szenen einer Polit-Beziehung:
Bei Merkels Antrittsbesuch in Moskau im Januar 2006 ist die Kühle spürbar. Die Neue verärgert den Kremlchef, weil sie den Druck auf die Nichtregierungsorganisationen in Russland anspricht. Anders als Schröder trifft sie sich auch mit Oppositionellen.
Auf Du und Du
Bei den Regierungskonsultationen im April 2006 in Tomsk in Sibirien bricht das Eis. Merkel gefällt es in der Wissenschaftsstadt. Putin mutet ihr sibirische Spezialitäten bis hin zu Bärenfleisch zu. Die beiden gehen zum "Du" über.
Beim G8-Gipfel in St. Petersburg im Sommer 2006 mahnt die Kanzlerin Putin in aller Freundschaft, bei Kritik nicht dünnhäutig zu reagieren.
Im Oktober 2006 treffen sich Putin und Merkel in Dresden unmittelbar nach dem Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja. Das Verbrechen habe "uns alle erschüttert", sagt die Kanzlerin.
Bisweilen kehrt Putin in der Beziehung den Macho heraus. Im Januar 2007 lässt er in Sotschi seinen dunklen Labrador Koni im Besprechungszimmer herumlaufen, obwohl er weiß, dass Merkel für Hunde nichts übrig hat.
Da liegt der Hund begraben
Ihr bislang schwierigstes Treffen absolvieren Merkel als EU-Ratspräsidentin und Putin im Mai in Samara. Die russischen Behörden haben Oppositionelle verhaftet, die in der Wolga-Stadt demonstrieren wollten. "Gibt es irgendwo eine lupenreine Demokratie, in Deutschland zum Beispiel?", verteidigt sich Putin und verweist auf deutsche Polizeirazzien vor dem G8-Gipfel von Heiligendamm. Es gelinge "nicht immer, sich gegenseitig zu überzeugen", seufzt Merkel.
Konfliktthemen gab es auch für das Abendessen am Sonntagabend in Hattenheim und die folgenden Besprechungen mit den Ministern beider Länder am Montag in Wiesbaden genug.
Zwar brummt der Handel zwischen Deutschland und Russland, aber die Sorge wegen der Rückschläge für die Demokratie in dem Riesenreich nimmt zu. Russland und die Europäische Union (EU) können wegen eines polnischen Vetos nicht über ein neues Partnerschaftsabkommen verhandeln. Die EU will den russischen Konzern Gazprom nur ungern in die europäischen Gasnetze einsteigen lassen und fordert ihrerseits vergeblich Zugang zum russischen Gasmarkt.
Probleme trennen und benennen
Als Reaktion auf die US-Pläne für eine Raketenabwehr mit Stützpunkten in Polen und Tschechien droht Putin mit einem Ausstieg aus dem INF-Vertrag, der das Verbot atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen regelt. Und schließlich fragt sich Deutschland, wie Putin seine Nachfolge im kommenden Frühjahr regeln will. Er muss den Schreibtisch im Kreml räumen und will doch anscheinend die Macht nicht abgeben.
Geschadet hat die Direktheit der beiden Spitzenpolitiker den deutsch-russischen Beziehungen bislang nicht. Merkel schaffe eine Balance, meint der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Sie entwickle die Wirtschaftsbeziehungen weiter, als ob es keine Rückschritte bei der Demokratie gebe. Und sie spreche die Probleme an, als ob sie keine Rücksicht auf Handelsbeziehungen nehmen müsse.
Von Friedemann Kohler, dpa
Quelle: ntv.de