Politisch erprobt Hessen wählt wieder
12.01.2009, 08:42 UhrDie "hessischen Verhältnisse" gehen ihrem Ende entgegen. Bei der Landtags-Neuwahl am 18. Januar kann sich CDU-Ministerpräsident Roland Koch laut Umfragen alle Hoffnungen machen, mit Hilfe der FDP seine vor einem Jahr verlorene Mehrheit zurückzugewinnen. Der SPD mit ihrem neuen Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel droht dagegen ein Absturz. Und selbst wenn es für Union und FDP doch nicht reichen sollte: Es scheint unwahrscheinlich, dass der 18. Hessische Landtag zurückfällt in die politische Lähmung, wegen der sich sein Vorgänger aufgelöst hat. Denn diesmal hüten sich die Parteien davor, sich mit Bündnisaussagen allzu eng einzuschnüren.
Dies ist die Konsequenz aus dem Wahlergebnis vom 27. Januar 2008. Wegen des Einzugs der Linkspartei in den Wiesbadener Landtag errangen weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün genug Mandate zur Regierungsbildung. Die meisten anderen Konstellationen aber hatten sie zuvor ausgeschlossen. Unter anderem hatte SPD-Chefin Andrea Ypsilanti stets versichert, nicht mit der Linken zusammenzuarbeiten. Doch schon wenige Wochen nach der Wahl war sie bereit, dieses Versprechen zu brechen. Wäre sie nicht zweimal an der eigenen Partei gescheitert, wäre sie seit dem 4. November Hessens erste Ministerpräsidentin - an der Spitze eines von den Bürgern überwiegend abgelehnten rot-grünen Bündnisses mit Tolerierung durch die Linke.
Ypsilanti ist Chefin auf Abruf
Stattdessen ist sie nun Partei- und Fraktionschefin auf Abruf, und die SPD verharrt im Stimmungstief. Das Wahlziel ist defensiv: In erster Linie wolle man eine schwarz-gelbe Mehrheit verhindern, sagt der neue Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel. Von seiner Vorgängerin Ypsilanti hat er ein ehrgeiziges energie- und sozialpolitisches Wahlprogramm übernommen, setzt sich aber in manchen Dingen von ihr ab. Beispielsweise spricht Schäfer-Gümbel offen von "Wortbruch" in punkto Linke - Ypsilanti bevorzugt den Ausdruck "Fehler". Neu ist auch die bisweilen an Galgenhumor grenzende Selbstironie: Zeitweise trugen die SPD-Wahlkämpfer Anstecker mit der Aufschrift "Sturmerprobt seit 1863".
Politische Wetterfestigkeit kann allerdings auch Koch für sich in Anspruch nehmen. In seinen fast zehn Jahren Amtszeit hat er einen Schwarzgeldskandal überstanden, Hessen durch eine Wirtschaftskrise gesteuert und sich zuletzt noch gegen eine rot-rot-grüne Landtagsmehrheit behauptet. Einen Fehlschlag wie seine Kampagne zur Jugendkriminalität vor einem Jahr will er sich diesmal ersparen. Stattdessen setzt er angesichts der sich rapide verdüsternden ökonomischen Aussichten auf seine Wirtschaftskompetenz, den Wunsch der Bürger nach stabilen Verhältnissen und die Abneigung gegen die Linkspartei.
"Wirklich wieder Koch?"
Schließlich kann Schäfer-Gümbel sein Wahlziel nur erreichen, wenn der Linken erneut der Einzug in den Landtag gelingt. 2008 kam sie nur um Haaresbreite über die Fünf-Prozent-Hürde. Ein Jahr später wird die Linkspartei von internen Querelen geplagt, und die Umfragewerte bewegen sich in bedenklicher Nähe der Sperrklausel.
In der SPD-Spitze aber hält man Rot-Rot-Grün ohnehin für die am wenigsten wahrscheinliche Alternative zu Schwarz-Gelb. Anders als 2008 werde sich die FDP einem Dreierbündnis mit Sozialdemokraten und Grünen nicht mehr kategorisch verweigern, kalkuliert man. Genauso traut man aber den Grünen zu, lieber mit Union und Liberalen zu regieren, als in die Opposition zu gehen. Darin zeigt sich auch das derzeit gespannte Verhältnis zwischen den Sozialdemokraten und ihrem grünen Wunschpartner, der nach dem Scheitern der Regierungsübernahme noch kräftig Salz in die Wunden der SPD streute.
In der Tat schließen die Grünen nichts aus bis auf eine Zusammenarbeit mit Koch. Wie schon vor einem Jahr ist der Regierungschef mit seinen mäßigen persönlichen Beliebtheitswerten das personifizierte Feindbild und der Hauptansatzpunkt der Kampagnen seiner Gegner: "Wirklich wieder Koch?" plakatierte Schäfer-Gümbel schon vor Heiligabend in schwarzen Blockbuchstaben.
Wolfgang Harms, dpa
Quelle: ntv.de