Erinnerung an Weimarer Republik Im braunen Schatten
06.02.2009, 08:23 UhrDeutschland tut sich schwer mit seiner Demokratiegeschichte. Die Bilder der ersten Gehversuche, von anderen Nationen stolz präsentiert, sind im deutschen Album weit hinten eingeordnet. Dunkel liegt der braune Schatten auf der Weimarer Republik, die engagierte Demokraten vor 90 Jahren im Chaos nach dem Ersten Weltkrieg aus der Taufe hoben. Über Jahrzehnte sei dieser Aufbruch vor allem von seinem Ende her - der Machtergreifung der Nationalsozialisten - betrachtet worden, erklärt der Jenaer Historiker Stefan Gerber. Erst nach dem Fall der Mauer habe sich der Blick geweitet. "Jetzt erkennen wir auch die Leistungen dieser Zeit an."
Der Sinneswandel zeigt sich auch in Weimar selbst, das sich langsam mit dem historischen Datum, der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919, anfreundet. Die konservative Residenzstadt mit damals rund 30.000 Einwohnern stand dem geschichtsträchtigen Ereignis von Beginn an kritisch gegenüber. "Die Bewohner gehörten nicht zu den glühenden Verfechtern der Demokratie", sagt Stadtarchivar Justus Ulbricht. Aber es habe in der Stadt auch Sozialdemokraten gegeben, die das Anliegen stützten. "In diesem Sinne spiegelt Weimar die damalige Spaltung Deutschlands wieder."
Letztendlich war der Ort mit dem Ansturm der rund 450 Abgeordneten, hunderter Beamter sowie internationaler Beobachter und Journalisten überfordert. Die Preise für die raren Lebensmittel stiegen drastisch. "Auch die Abgeordneten beschweren sich in Briefen über die schwierige Quartiersuche und über Langeweile", erzählt Gerber. "Sie monierten, dass sie auch am Abend immer wieder dieselben Gesichter sehen."
Schreckgespenst Weimar
Zur Ehre des Sitzungsortes kam Weimar mehr oder minder zufällig. Den im Januar gewählten Parlamentariern war schnell klar, dass sie im revolutionär aufgewühlten Berlin nicht die Ruhe für die Erarbeitung der Verfassung finden können. "Die Entscheidung fiel aus Sicherheitsgründen. Die Stadt war mit einer überschaubaren Zahl von Soldaten zu schützen", sagt Gerber. Ein weiteres Argument war die zentrale Lage. Weimar als Hort des Humanismus spielte dagegen eine untergeordnete Rolle. Das nutzte erst Reichspräsident Friedrich Ebert, der in der Debatte den Bogen vom Weltbürgertum Goethes zur Republik zog.
Nach dem Zweiten Weltkrieg distanzierten sich die Regierungen im geteilten Deutschland von Weimar. Die DDR sprach vom Steigbügelhalter für die Nazis, im Westen machte der Satz "Bonn ist nicht Weimar" die Runde. "Die Politiker waren geprägt von der Weimarer Republik, vor allem von ihrem Niedergang", sagt Ulbricht. "Für sie war Weimar ein Schreckgespenst. Diese Entwicklung durfte sich keinesfalls wiederholen."
In der Stadt fanden sich deshalb nur wenige Hinweise auf die demokratische Geschichte. Lieber sonnte sich Weimar im Glanze der politisch unverdächtigen Klassiker Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Das änderte sich erst mit dem Mauerfall 1989 und der Ernennung Weimars zur Kulturhauptstadt 1999. "Vor allem im Kulturstadtjahr gab es offene Debatten auch über die dunklen Seiten der Stadt wie das Konzentrationslager Buchenwald. Dadurch hat sich das Klima geändert", sagt Ulbricht.
Zum 90. Jahrestag der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung am 6. Februar hat Weimar ein stattliches Programm zusammengestellt, bei dem sich unter anderem Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Ehre gibt. Eine Ausstellung soll die Chancen des damaligen Aufbruchs herausstellen. Der Leiter des Stadtmuseums, Alf Rößner, verbindet mit ihr eine Überlebenshoffnung. Mit einem anerkannten Schwerpunkt "Nationalversammlung" könnte er sein Haus bei der großen Konkurrenz in Weimar profilieren.
Die Chancen dafür stehen gut. "Die Historiker betrachten mehr und mehr die Wirkungen der Weimarer Zeit und der Verfassung und nicht mehr nur ihre Konstruktionsfehler", sagt Gerber. Zu den Erfolgen zählt er das Frauenwahlrecht, die parlamentarische Ordnung und die Grundrechte. Auch Archivar Ulbricht würdigt Weimar: "Damals traten alle großen Köpfe wie Kaiser und Fürsten kampflos ab und hinterließen eine offene Situation, die die Demokraten mit bewundernswerter Hartnäckigkeit füllten. Sie sagten 'Yes we can' und sind damit Vorbilder für heute."
Quelle: ntv.de, Ingo Senft-Werner, dpa