Dossier

Frauen in Afghanistan Immer mehr Selbstverbrennungen

Nabila Wafeq kann nicht mehr zählen, wie oft sie solche Geschichten in den vergangenen Monaten gehört hat: In einem Dorf in der Nähe ihrer Heimatstadt Kabul hat sich wieder eine junge Frau selbst angezündet und ist kurz darauf gestorben. "Immer mehr Frauen in Afghanistan wählen diesen schrecklichen Weg", sagt Wafeq. Zwangsheirat, Gewalt in der Familie, Gefängnisstrafen wegen vermeintlich unmoralischen Verhaltens - manche Frauen hielten das einfach nicht mehr aus. Wafeq ist gerade mal zwanzig Jahre alt. Trotzdem kämpft sie in ihrer Heimat als Rechtsberaterin gegen das Leid der Frauen in Afghanistan. Ein Leid, das nach Ansicht von Hilfswerken zwischen den Berichten über Selbstmordattentäter oder Diskussionen über den Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen der Bundeswehr zunehmend in Vergessenheit gerät.

"Die Selbstmordversuche von Frauen in Afghanistan haben in den letzten Jahren sehr zugenommen, vor allem bei den 15- bis 19-Jährigen", erläutert Wafeq am Montag in Berlin. Auf Einladung von medica mondiale und terre des femmes ist die junge Afghanin zurzeit mit Kolleginnen in Deutschland unterwegs, um auf das Schicksal der Frauen aufmerksam zu machen. Weil die Frauen keinen Zugang zu Tabletten hätten oder das Haus nicht verlassen könnten, wählten sie die Selbstverbrennung. Denn Brennmittel, so die Hilfsorganisation medica mondiale, gibt es in jeder Küche. "Wenn die Frauen mit Verbrennungen ins Krankenhaus kommen, kann ihnen oft nicht einmal jemand helfen", sagt Wafeq.

"Als die Taliban in Afghanistan entmachtet wurden, war die Verletzung der Rechte der Frauen einer der Rechtfertigungsgründe für die Angriffe", sagt Monika Hauser von medica mondiale. Heute finde das Leben der Mädchen und Frauen kaum noch Interesse, und es werde wenig über sie gesprochen. Dabei sei die Situation katastrophal.

"Eine von sechs Frauen stirbt bei der Geburt ihres Kindes", erläutert Hauser. Etwa achtzig Prozent der Ehen würden zwangsweise geschlossen, oft seien die Mädchen gerade mal acht oder zehn Jahre alt. Frauen würden vergewaltigt und landeten danach im Gefängnis - mit der Begründung, ein moralisches Verbrechen begangen zu haben. "Wegen der verschlechterten Sicherheitslage werden die Frauen und Mädchen von Vätern und Ehemännern in die Häuser zurückgedrängt", sagt Hauser. Dabei sollten sie eigentlich zur Schule gehen.

"Bildung ist die wichtigste Voraussetzung für die Verbesserung der Situation der Frauen", sagt Aqela Nazari, die im westafghanischen Dorf Shahrak ein Frauenzentrum leitet. "Die Frauen wissen nichts von ihren menschlichen Rechten, weil sie keine Bildung haben." Manche Frauen, die in ihre Schule kämen, könnten nicht einmal einen Stift halten. Dabei sei es ungeheuer wichtig, dass die Frauen am Wiederaufbau des Landes beteiligt würden.

Auch wenn Wafeq und ihre Kolleginnen in mehreren Städten Bildungsprogramme, Rechtshilfe oder psychosoziale Beratung anbieten - ohne Spenden und Hilfsgelder können sie ihr Ziel von einem freien Leben für Frauen in Afghanistan nicht erreichen, sagen sie. Deshalb wünscht sich Wafeq, dass die Deutschen dort bleiben. Allerdings müsse statt in Militäreinsätze mehr Geld in Hilfsprojekte fließen. "Natürlich ist es auch wichtig, dass in Afghanistan Sicherheit hergestellt wird", sagt sie. "Aber wenn zivile Projekte nicht genug Finanzierung bekommen, leiden viele Afghanen darunter genauso und sterben oder töten sich aus Verzweiflung selbst."

von Britta Gürke, dpa

Quelle: ntv.de

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