Dossier

62. Regierung seit 1945 Italiener politikverdrossen

Der konservative Silvio Berlusconi hat - noch - günstige Umfrageergebnisse im Rücken, sieht sich als Garant für wirtschaftlichen Aufschwung und stabile Verhältnisse. Gegenspieler Walter Veltroni lässt sich gern "Europas Barack Obama" nennen, er verspricht frischen Wind und ein "neues Italien". Bei den Neuwahlen zum Parlament am 13./14. April will der 52-jährige römische Linksdemokrat dem nahezu 20 Jahre älteren Mailänder Medienzar, Milliardär und Ex-Ministerpräsidenten die Rückkehr aus der Opposition an die Macht versperren. Wer auch immer nun das Rennen um den Palazzo Chigi, den Sitz des Regierungschefs, macht - er hat es mit einem von Skandalen gebeutelten Land zu tun.

Zwei Monate nach dem Rücktritt der Mitte-Links-Koalition von Romani Prodi, der durch internen Streit die zuvor schon äußerst knappe Mehrheit im Senat verlor, haben es die Italiener in der Hand: In ihrem "Land auf der Kippe", wie es die Presse gern nennt, sollen die etwa 50 Millionen Wahlberechtigten jetzt der 62. italienischen Regierung der Nachkriegszeit den Weg in die Amtssessel ebnen. Nach einem eher müde vor sich hin dümpelnden Wahlkampf mit nur wenigen schweren Konfrontationen wissen viele noch nicht, ob sie zur Urne gehen und für wen sie ihr Kreuz machen sollen. Politikverdrossenheit ist weit verbreitet und das Vertrauen in die "Kaste" in Rom minimal. Kann der frühere römische Bürgermeister Veltroni daran etwas ändern?

Auf die sanfte Tour

Ermutigt von ersten Erfolgen in der Aufholjagd gegen den nach den Umfragen führenden Berlusconi geht der Hoffnungsträger für das "neue Italien" daran, die Schlagzahl in den letzten Tagen vor der Wahl zu erhöhen. "Es wird eine Überraschung geben", zeigt sich Veltroni optimistisch, zumal er auch bei einem "TV-Duell auf Distanz" (in separaten Sendungen) recht gut abschneiden konnte. Bisher hatte er eine "weiche Strategie" gefahren, den Gegner geschont und so zu einem schlappen Wahlkampf beigetragen. Die Italiener sind das alltägliche politische Hickhack zwar leid, etwas mehr Biss wäre aber nach Meinung vieler Kommentatoren schon recht gewesen. Aber Veltroni, Ex-Kommunist und doch auch ein alter Polit-Hase, zog es vor, sanft sein Image als "Erneuerer" zu pflegen - ganz wie Obama, der für die Demokraten ins Weiße Haus in Washington will. Und vielleicht braucht man Berlusconi für eine große Koalition?

Berlusconi, Jahrgang 1936 wie der republikanische US-Kandidat John McCain, scheut den direkten Schlagabtausch mit dem telegenen und jüngeren Veltroni. "Ich gewinne sicherlich", gibt sich Berlusconi aber siegessicher. Er will seine engen Kontakte zum Business auch für eine Rettung der maroden Airline Alitalia in die Waagschale werfen, dieses Land noch einmal fünf Jahre lang "reformieren" und dann als Staatsmann abtreten.

Schillernd und bekannt für bizarre Auftritte, wirke Berlusconi heute altmodisch wie sein Slogan "Steh auf, Italien!", meint die römische "La Repubblica" - sie sieht einen "müden Cavaliere", der alles allein machen wolle. Und dies in einer Zeit, in der Italien vor härtester Reformarbeit steht. Unterdessen verzettelt sich Berlusconi: Eine Woche vor dem Urnengang brach er einen Streit über angeblich verfälschende, zum Chaos führende Wahlscheine vom Zaun.

Skandale und Krisenstimmung

Korruption und Mafia-Macht, Müllkrise in Neapel, Dioxin in der Mozzarella, gepanschter Billigwein - das sind jüngste Schlagzeilen, die nicht allein die Italiener selbst, sondern auch das Ausland einmal mehr an "Bella Italia" zweifeln lassen. Wenn die Blätter jedoch titeln wie "Demokratie mit leerem Tank" oder "Die Firma Italien liegt ganz hinten", dann geht es mehr um die massivsten wirtschaftlichen Probleme des G8-Mitglieds: drohendes Null-Wachstum, ein rekordverdächtiges Staatsdefizit, Ebbe im privaten Geldbeutel.

Weil es nicht gelungen war, mit einer Reform des Wahlrechts rasch noch den Parteiendschungel etwas auszulichten, schallt der Ruf nach einer "nützlichen Wahl" durch das Land: Die Italiener sollen eine der beiden großen Parteien, Berlusconis Rechts-Bündnis PDL (Volk der Freiheit) oder Veltronis neue Mitte-Links-Partei PD (Demokratische Partei) wählen und damit für Stabilität sorgen. Da wehren sich die Kleineren, die auch Zünglein an der Waage spielen könnten, wie die Zentrumsunion UDC oder die "Regenbogen-Linke": Die Hauptprotagonisten sollten nicht alles unter sich ausmachen können - zumal ein klares Bild nach dem Urnengang schon überraschend wäre und eine Pattsituation mit erneutem Koalitionsgerangel durchaus denkbar.

Von Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

Quelle: ntv.de

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